Ingolstadt
Gehörlos im Wahlkampfmodus

Der Ingolstädter Alexander Exner von der SPD kandidiert für das Europaparlament

15.05.2019 | Stand 23.09.2023, 7:01 Uhr
Das Gebärdenzeichen für Europa: Der Ingolstädter Alexander Exner aus Ingolstadt ist Nachrückkandidat der SPD fürs Europaparlament. −Foto: Hammer

Ingolstadt (DK) Zum Interview erscheint Alexander Exner im blauen Kapuzenpulli: Auf der Brust der Kreis aus zwölf goldenen Sternen - die Flagge der Europäischen Union. Das Kleidungsstück ist mit Bedacht ausgesucht, denn der 44-jährige Ingolstädter tritt bei den Europawahlen für die bayerische SPD an - als sogenannter Huckepack-Kandidat und Nachrücker für Korbinian Rüger aus München.

Der steht auf Listenplatz 66 - die Wahrscheinlichkeit, dass der Ingolstädter Genosse ins EU-Parlament einziehen wird, ist also ziemlich gering. Doch Alexander Exner, von Geburt an gehörlos, empfindet die Kandidatur schon als Erfolg.

Wenn er Europa sagt, dann zeigt er das "E" des Fingeralphabets und bewegt dabei die Hand im Kreis - analog zum Sternenkreis auf der EU-Flagge. Diese Geste ist in den vergangenen Wochen Exners Markenzeichen geworden. "Das bleibt in den Köpfen hängen. Allein die Beteiligung am Wahlkampf hat mir eine Bühne gegeben, um meine Message nach außen zu tragen", sagt er, und Dolmetscherin Ronja Kunze übersetzt. "Es zeigt, dass ein Gehörloser mitmischen kann und dass jemandem wie mir nicht die Kompetenz abgesprochen wird. Ich konnte meine Themen transportieren und unter die Leute bringen, und so ist jetzt schon ein Erfolg sichtbar." Wenn Exner in Sachen Europa unterwegs ist, hat er meist seine Übersetzerin dabei. Eine kostspielige Angelegenheit, doch der Ingolstädter SPD sind diese Ausgaben von ein paar Tausend Euro jeden Cent wert. "Oft scheitert Inklusion an der Finanzierung", kritisiert Exner. So wurde er außerhalb Ingolstadts zu Veranstaltungen eingeladen, ein Grußwort zu sprechen oder ein Referat zu halten, doch es fehlte fast immer Geld für die Dolmetscherin.

Dabei hat der 44-Jährige viel zu sagen, "wie ein Wasserfall", sagt er über sich. Inklusion ist sein Thema, vielmehr die Grenzen der Inklusion, wenn es eben schon am Geld für die Übersetzerin scheitert. Exner fordert die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention von 2008 in Deutschland und Europa: Darin geht es nicht mehr um die Integration von "Ausgegrenzten", sondern darum, von vornherein allen Menschen die uneingeschränkte Teilnahme an allen Aktivitäten möglich zu machen - Teilhabe an der Gesellschaft. "Da gibt es in Deutschland auch nach mehr als zehn Jahren noch Grenzen", meint der Gehörlose, der gelernter Metallbauer ist und bei Audi arbeitet.

Beispiel Berufswelt: Laut Exner bekommen Betriebe die Kosten erstattet, wenn für einen Gehörlosen ein Dolmetscher eingesetzt werden muss - etwa bei Teamsitzungen, Weiterbildungen oder Betriebsversammlungen. "Aber das wissen die Verantwortlichen oft gar nicht. Da fehlt die Aufklärung, so dass die bereitgestellten Gelder nicht abgerufen werden. Und deshalb werden Gehörlose oft nicht eingestellt." Ähnlich sieht es bei der Ausbildung aus. Es gibt zwar spezielle Berufsbildungswerke für Gehörlose, aber die sind weiter weg in München oder Nürnberg. "Ich erlebe diese Probleme selber bei meinen Kindern", so Exner. "Warum können sie nicht wie andere Jugendliche in einem Betrieb in Ingolstadt eine Ausbildung machen? Leider sind die Firmen skeptisch." Der 44-Jährige fordert ein gerechtes Bildungssystem und Chancengleichheit.

Der Sozialdemokrat versteht nicht, warum ausgerechnet das reiche Deutschland bei der Inklusion hinterherhinkt. "Menschen mit Behinderung werden von Politikern oft vergessen", meint er. "Vielleicht wäre eine Quote für Parteien nicht schlecht?" Im Europaparlament sitzen schon gehörlose Politiker - die Belgierin Helga Stevens und Ádám Kósa, ein Ungar. "Das sind gute Beispiele, dass es klappen kann", sagt Alexander Exner. Und wenn er es nicht nach Brüssel schafft - bei den Kommunalwahlen 2020 möchte er auf jeden Fall wieder antreten.

Suzanne Schattenhofer