Geheimtipp für Wagner-Fans

09.09.2009 | Stand 03.12.2020, 4:40 Uhr

Siegfried (Jürgen Müller, rechts) wird von anderen manipuliert – zum Beispiel von seinem Ziehvater Mime (Arnold Bezuyen). - Foto: Metzner

Lübeck (DK) Ist es traurig oder einfach nur schön, dass im kleinen Jugendstil-Theater von Lübeck eine der spannendsten Wagner-Produktionen des Jahres 2009 läuft? Was dort seit der umjubelten Premiere mit "Siegfried" auf der Bühne zu erleben ist, erweist sich szenisch, aber auch im Durchschnitt der Gesangsleistungen dem aktuellen Bayreuther "Ring" überlegen.

Dabei zahlt auch Lübeck seinen Gastkünstlern kleine Gagen – doch GMD und Intendant Roman Brogli-Sacher hat ein gutes Händchen dafür, hervorragenden Künstlern deren Wunschpartien anzutragen und sie mit eigenem Engagement und einem hoch motivierten Orchester mitzureißen. Echte Wagner-Fans sollten den Weg in die hübsche Hansestadt also einplanen, denn im März 2010 gibt es auch noch "Rheingold" und "Walküre" zu sehen – und bis Februar den neuen "Siegfried". Hier zieht in der Inszenierung von Anthony Pilavachi Dr. Mime seinen Helden im Altersheim auf. In dieser auf den ersten Blick ungewöhnlichen Szenerie ergeben sich interessante Begegnungen: Hier spielt Alberich im Rollstuhl mit Wotan Schach, bevor er von Mime mit einer Beruhigungsspritze unschädlich gemacht wird. Hier thront, verfettet vom Reichtum, Fafner, der sich ein Drachen-Hündchen hält. Andere Mitbewohner werden einfach vergessen oder abgeschoben – wie die uralte Erda im Rollstuhl, die von Wotan brutal ausgeschaltet wird. Die Mischung aus aktueller Kritik am Gesundheitssystem und explosiver Spielfreunde, die auf Pointen setzt, billigen Klamauk aber vermeidet, geht im Werk erstaunlich präzise auf.

Durch die Regie zur Hauptfigur gemacht, gerät Arnold Bezuyens Mime in den Focus der Neuproduktion. Der seit Jahren umjubelte Bayreuther Loge qualifiziert sich hier für eine neue Partie und setzt Maßstäbe. Endlich ein Mime, der nicht nur keift, sondern mit schönem Tenor betören kann, der schlanke, aber auch strahlend-heldische Spitzentöne singt, der Text wie Musik in all ihren Schattierungen und Farben feinsinnig auslotet. Gleichzeitig kocht und mixt er im Takt der Musik. An der Seite des Bayreuth-Stars bietet die Produktion zwei hervorragende Siegfriede: Jürgen Müller, der in der Hauptprobe mit gesundem Tenor, lyrisch und heldisch zugleich, glänzte – und Alfons Eberz, der die Premiere sang. Weitere Stimm-Favoriten dieser Produktion: Stefan Heidemann alias Wanderer-Wotan, Antonio Yang als Alberich und Andrea Stadel als Waldvogel. Sie trumpfen auf, als gehöre ihnen schon jetzt die Zukunft der Wagner-Stimmen.

Man sagt, Eva Wagner-Pasquier hätte diese Produktion schon im Terminkalender vermerkt. Entdeckungen sind garantiert!