Herrenchiemsee
Gegensätzliche Welten

Pinakothek der Moderne wird renoviert – Die wunderbare Ausstellung "Königsklasse" ist deshalb im Schloss Herrenchiemsee zu sehen

12.07.2013 | Stand 02.12.2020, 23:55 Uhr

 

Herrenchiemsee (DK) Ein Raum, angefüllt mit farbigem Licht: Der amerikanische Künstler erreicht mit seinen Installationen, dass der Betrachter inmitten eines Kunstwerkes steht und es zugleich aus unterschiedlichen Blickwinkeln wahrnehmen kann. Zu erleben ist dies in einer ganz besonderen Kunstausstellung, die auf Schloss Herrenchiemsee eingerichtet wurde.

Unter dem treffenden Titel „Königsklasse“ werden ausgewählte Werke aus der Pinakothek der Moderne auf der Insel im Chiemsee gezeigt. Und so, wie die Bilder und Skulpturen per Schiff transportiert wurden, so werden nun die Besucher übers Wasser zur Kunst der Moderne pilgern, denn der Weg lohnt sich.

In gewisser Weise vollendet Herzog Franz von Bayern jetzt den Nordflügel des Schlosses, der unter seinem Vorfahren Ludwig II. unvollendet blieb. Tür an Tür mit den Schauräumen in barocker Pracht ist nun vor unverputzten Backsteinwänden die Kunst der Moderne zu erleben – und etliche dieser Gemälde hat Herzog Franz selbst erworben. Im Angesicht dieser Werke feiert er an diesem Wochenende seinen 80. Geburtstag (s. Bayernteil) – und die Besucher der Schau erleben eine Werkstattatmosphäre, die dafür sorgt, dass die Bilder dem Betrachter näher rücken als dies im weißen Kubus der Pinakothek der Moderne der Fall war. Fast ist es, als begegnete man den Kunstwerken im Atelier der Künstler – und das lässt sie frisch und unmittelbar wirken.

In der oberen Etage residieren die Amerikaner Andy Warhol, Dan Flavin, Willem de Kooning und John Chamberlain. Ihre großformatigen Werke haben nun genug Luftraum um sich herum, und sie entfalten auch eine ganz neue Farbigkeit durch eine Lichtmischung aus Kunstlicht und natürlichem Licht, das durch die wandhohen Fenster herein flutet. Das Auge des Betrachters studiert die gegensätzlichen Welten von Pop-Art drinnen und Parklandschaft draußen. Und hinter den Leuchtstoff-Röhren von Dan Flavin entfaltet das vor- und zurückspringende Ziegelmauerwerk der Wände ein überraschendes Spiel mit farbigen Schatten.

Im Erdgeschoss hat Kuratorin Corinna Thierolf die deutschen Künstler des 20. Jahrhunderts versammelt: Die Menschenbilder des weniger bekannten Eugen Schönebeck aus Zeiten des Kalten Krieges korrespondieren mit Figuren von Georg Baselitz, dessen „Fingermalerei Adler“ sich zwischen zwei Fenstern vom Himmel stürzt. Die acht „Schleifenbilder“ Sigmar Polkes, eine moderne Hommage an Albrecht Dürer, bilden einen reizvollen Gegensatz zur Strenge der Kreuze von Arnulf Rainer. Unübertroffen in seiner Wirkung aber die Arbeiten von Joseph Beuys – Fotografien an den Wänden, kleinere Objekte in schlichten Glasvitrinen. Und alles wirkt so unmittelbar, als sei der große Künstler eben noch hier gewesen. Hier gibt es keine künstliche Veredelung, wie das mit Beuys-Exponaten im neuen Lenbachhaus geschieht, sondern seine Materialien des Alltags werden in einer Umgebung gezeigt, die selbst Gebrauchsspuren zeigt und Assoziationen wachruft.

Eine großartige Ausstellung, von der Kuratorin Thierolf fünfzehn Jahre lang träumte und für die wohl manches Hindernis überwunden werden musste – das Hochwasser beim Bildertransport war da nur das kleinste. Bleibt zu hoffen, dass diese „Sommer-Pinakothek“ auf der Insel Herrenchiemsee eine Fortsetzung findet – dass aus der Ausstellung „Königsklasse“ ein dauerhafter „Königsweg“ wird. Denn weil jedes Kunstwerk fast wie ein lebendiger Organismus auf seine Umgebung reagiert, ist auch der Ort der Präsentation von entscheidender Bedeutung für seine Wirkung.

Kunstliebhaber und Touristen haben auf Herrenchiemsee eine neue Adresse, um Werke der Moderne neu verstehen zu lernen.