Ingolstadt
"Gegen Ingolstadt macht es keinen Spaß"

Bochum-Fan und Fußball-Humorist Ben Redelings über den FC und Anekdoten aus 50 Jahren Bundesliga

07.12.2012 | Stand 03.12.2020, 0:44 Uhr

Bochum-Fan, Anekdotensammler und Buchautor: Der Fußball-Kulturschaffende Ben Redelings kommt am 14. Dezember mit seinem neuesten Werk „50 Jahre Bundesliga“ nach Ingolstadt - Foto: Strisch

Ingolstadt (DK) Er ist der erste „Fußball-Kulturschaffende“ Deutschlands und laut der Akademie für Fußballkultur in Nürnberg der „ungekrönte Meister im Aufspüren kurioser Fußballgeschichten“: Ben Redelings, Buchautor, Filmemacher – und glühender Anhänger des VfL Bochum. Am 14. Dezember gastiert er mit seinem neuen Buch „50 Jahre Bundesliga“ zu einer Lesung im Gasthaus Schwalbe in Ingolstadt (Beginn um 20 Uhr).

Herr Redelings, in Sachen Fußball-Kultur ist der VfL weit vorne: Sie und Frank Goosen gelten als Bochumer „Literaturikonen“. Blieb einem VfL-Fan angesichts der legendären und grellbunten „Faber“-Trikots aus den 90er-Jahren nur die Flucht in den Humor?

Ben Redelings (lacht): Ja, die Papageien-Trikots! Wir hatten die hässlichsten Trikots der Liga-Geschichte. Es mag an dieser Geschmacksverirrung liegen. Es kann aber auch sein, weil wir 1976 etwas erlebt haben, was als Trauma in die Geschichte des VfL eingegangen ist. Wir haben damals 4:0 gegen die Bayern geführt und noch 5:6 verloren. Und als ob das noch nicht genug wäre, haben wir dieses Spiel zum Jahrhundertspiel des VfL Bochum gewählt.

 

Müssen Bochum-Fans also masochistisch veranlagt sein?

Redelings: Mich hat vor ein paar Tagen ein Kollege gefragt, wie ich es mit Fußball und Aberglauben halte. Ich habe gesagt: früher ja. Da habe ich geglaubt, dass ich meinem Verein helfe, wenn ich die roten Socken dreimal hintereinander trage und wir deshalb dreimal nicht verlieren. Jetzt ist es beim VfL aber so, dass wir ein Spiel gewinnen und das nächste verlieren. Das tut besonders weh, wenn man daran denkt, dass man seine eigenen Kinder mal an den Verein ranführen wollte. Dieses Elend möchte ich ihnen eigentlich ersparen.

 

Anderen Traditionsvereinen geht es allerdings noch deutlich schlechter. Aachen ist pleite, Duisburg und Bielefeld fast. Für Sie als Traditionalisten eine Horrorvision?

Redelings: Ich bekenne offen, dass ich kein Fan der TSG Hoffenheim bin und dass ich es schrecklich finde, wenn ein Trainer in Wolfsburg sagt, dass die Entscheidungen sowieso VW trifft. Ob die Probleme der Traditionsvereine doch hausgemacht sind, ist eine andere Frage. Natürlich wäre es grausam, wenn Vereine wie Duisburg, Aachen, Bielefeld oder auch mein eigener verschwinden würden. Gerade aus dem Grund, weil das Schönste immer noch ist, wenn der Vater mit seinem Sohn ins Stadion geht und beide diese Tradition fortführen. Das stirbt glaube ich aus, wenn man nur noch Vereine hat, die aus Geld und Plastik bestehen.

 

Am kommenden Freitag kommen Sie nach Ingolstadt – dort gibt es mit dem FC auch einen Verein aus der Retorte mit dem Image eines Werksvereins. Trotzdem kommen Sie gerne hierher. Ist es das Ingolstädter Bier, was Sie lockt?

Redelings: Was mich an Ingolstadt verblüfft hat, sind die tollen Jungs von 19er Alu. Die sind im positiven Sinne fußballbekloppt. Woran man natürlich sieht, dass der FC Ingolstadt noch nicht die Tradition hat: Jeder dieser Jungs hat noch einen Zweitverein. Das würde es im Ruhrgebiet nicht geben. Da hast du einen Verein und machst dein Leben lang alle Höhen und Tiefen mit. Diesen Weg muss der FC sicherlich noch gehen. Ich bin aber relativ optimistisch, dass der FC langfristig ein Traditionsverein wird.

Aus Bochumer Sicht ist der FC Ingolstadt ein Angstgegner: nur ein Sieg in fünf Spielen.

Redelings: Ehrlich gesagt steht der FC Ingolstadt für den Niedergang meines Vereins in den letzten Jahren. Beim ersten Spiel haben wir gleich 4:1 verloren, und als ich das erste Mal in Ingolstadt war, ging es, glaube ich, 3:0 aus. Wir sagen in Bochum immer: Wir verlieren mittlerweile gegen Vereine, von denen wir vor ein paar Jahren gar nicht wussten, dass es sie überhaupt gibt. Ingolstadt ist tatsächlich ein Angstgegner geworden. Gegen euch macht das einfach keinen Spaß.

 

Spaß macht Ihnen allerdings Ihr Job: Sie haben inzwischen mehrere Bücher mit Anekdoten und Geschichten aus 50 Jahren Bundesliga verfasst. Wo haben Sie die alle gesammelt?

Redelings: Ich sitze gerade in meinem Büro und überlege, wie ich Herr über die ganzen Dinge werde, die hier, im Keller und anderswo lagern. Das ist ein wahnsinniger Fundus an Büchern, Zeitschriften – nicht nur „Sportbild“ oder „Kicker“. Es gab auch in der „Bravo“, „ Playboy“ oder „Hörzu“ Fußballberichte. Es macht riesigen Spaß, darin zu wühlen und Perlen zu entdecken. Ich muss jetzt wirklich mal aufräumen. Meine Frau ist nach dem Erscheinen meines aktuellen Buchs das erste Mal wieder in den Keller gegangen und ist fast umgefallen. Seitdem war sie nicht mehr unten.

 

Ihre Geschichten stammen aus einer Zeit, in der die Schiedsrichter Ahlenfelder hießen und die Trainer Happel oder Zebec – oder wenigstens noch Werner Lorant. Passiert in der glatten Bundesliga überhaupt noch Erzählenswertes?

Redelings: Es ist deutlich weniger geworden, weil man die Nähe verloren hat. Ich erzähle immer, dass hier in Bochum in den 70er-Jahren die Spieler und Schiedsrichter ganz normal in die Vereinsgaststätte reingegangen sind, Bier getrunken und mit den Leuten geredet haben. Wenn man daran denkt, wird man sentimental. Keine Ahnung, ob wir irgendwann mal erfahren, welche Streiche die heutige Generation gespielt hat. Ich bin aber skeptisch, ob das in dieser klinischen Bundesliga überhaupt noch passiert.

 

Warum heißen die Fußballer von heute Schweini oder Poldi und haben keine launigen Spitznamen wie „Katsche“, „Ente“ oder „Eisen-Dieter“ mehr?

Redelings: Spitznamen sind natürlich immer auch durch Journalisten geboren worden. Da sind wir sicherlich sehr einfallslos geworden. Natürlich sind aber auch die Mannschaften heute anders strukturiert. Es gibt zum Beispiel viel mehr Spieler aus dem Ausland. Und auch das Mannschaftsgefüge und der Geist sind anders. Teilweise glaube ich aber auch, dass wir es gar nicht erfahren, wie die Spieler sich untereinander nennen. Das zeigt, dass sich der Fußball verändert hat.

 

Das Verhältnis zwischen Fans und Verbänden ist so schlecht wie nie. Ist das auch dieser Entwicklung geschuldet?

Redelings: Diese sehr alte Diskussion ist medial derart aufgeputscht, dass es keinen Spaß mehr macht, sie zu verfolgen. Es wird ja häufig gesagt, dass man nicht mehr ins Stadion gehen kann, weil man Angst haben muss. Wenn man die Bundesliga von Anfang an verfolgt hat, weiß man, dass wir nahezu paradiesische Zustände haben. Im Stadion ist man in einer Art Käfig. Da kann nichts passieren, wenn man sich an bestimmte Regeln hält. Was die Verbände angeht: Da sitzen Leute, die zum letzten Mal als Kinder in der Kurve waren. Die haben überhaupt kein Verhältnis mehr dazu, was dort tatsächlich passiert. Da wird viel aneinander vorbeigeredet.

 

Früher machten sich die harten Jungs im Stehplatzbereich nicht unbedingt die Mühe, zum Pinkeln die Stadiontoilette aufzusuchen. Früher war also auch nicht alles besser!

Redelings (lacht): Ich habe es selber noch erlebt, dass die Bierbecher vollgepinkelt und nach vorne weitergegeben wurden. Es gibt die schöne Geschichte von einem, der fragte, warum das Bier so warm sei. Der hatte tatsächlich einen Schluck genommen und dann erst gemerkt, dass es kein Bier war. Es gehört zum Fußball dazu, dass es solche Geschichten gibt.

 

Das Gespräch führte

Alexander Petri