Ingolstadt
"Gegen den Albert aufmucken"

09.04.2010 | Stand 03.12.2020, 4:07 Uhr

Zwei, die keine Ruhe geben: Manfred Müller (links) und Ferdinand Mader zeigen auf einer Flurkarte, wer in Etting wo welches Grundstück besitzt. Die Frage ist nur, ob durch die Eigentumsverhältnisse die Verkehrspolitik beeinflusst wird. - Foto: Herbst

Ingolstadt (DK) Es hätte alles ganz anders kommen können. Und es hing am seidenen Faden. Hätte sich Etting 1972 entschieden, doch selbstständig zu bleiben, wäre es heute eine der reichsten Gemeinden in Bayern, mit dem halben Audi-Werksgelände auf heimischer Flur und satten Einnahmen aus der Gewerbesteuer.

Mit prall gefüllter Gemeindekasse hätte Etting – selbst ohne FW-Mehrheit – locker einen Tunnel bauen können und damit alle Verkehrsprobleme ein für allemal vom Hals. Aber Etting ging nach anfänglichem Patt im Gemeinderat und äußerst knapper Entscheidung 1972 zu Ingolstadt. Den Ausschlag zugunsten des großen Nachbarn gab die Stimme des damaligen Bürgermeisters Lorenz Schmidt. Der war, auch wenn man es heute kaum glauben mag, ein Sozialdemokrat. "Die SPD in Etting", seufzt Manfred Müller, "die ist so abgefallen, die ist auf Null. Wir haben keine Opposition in Etting, das tut weh."

"Das ist ein Trauerspiel"

Der 59-jährige Werkzeugmacher, der lange bei Audi beschäftigt war, ist zwar kein Genosse, aber vielleicht im Lauf der Jahre selber so ein bisschen in die Rolle des Oppositionsführers geschlüpft, wenn auch als Vertreter der Freien Wähler. Dass die hohe FW-Führung in der Stadt inzwischen Brüderschaft mit der CSU getrunken hat – geschenkt.

Was da momentan in seinem Ort abläuft, das hält Müller für einen öffentlichkeitswirksamen Alleingang des Albert Wittmann. "Der Wittmann sagt, was gemacht wird, das ist ein Trauerspiel." Die ganze Aktion des in Etting wohnenden Finanzbürgermeisters gegen den Weiterbau der Nordumgehung Gaimersheim sei noch nicht einmal in der örtlichen CSU-Spitze abgesprochen gewesen. "Das ist eine reine Einzelmeinung vom Wittmann, und der Hammer" – der Ortsvorsitzende – "läuft hinten nach."

Das Wort des FW-Mannes hat in Etting einiges Gewicht, nicht nur weil er stellvertretender Chef des Bezirksausschusses ist, sondern das Vereinsleben in- und auswendig kennt. Müller stand 28 Jahre an der Spitze der Feuerwehr, ist Sprecher der Vereine, koordiniert die Termine. Und überall, so hat er beobachtet, werde zurzeit über diese Umgehungsstraße gesprochen, wenn nicht gestritten. Viele fragten nur noch: "Was soll das ganze Kaschperltheater" Es werde höchste Zeit, glaubt Müller, dass "die Unruhe endlich aus dem Ort rauskommt".

Die zahlenmäßig kleine, aber überaus aktive FW-Truppe in Etting bildete vor vielen Jahren auch den harten Kern einer Bürgerinitiative für die Ostumgehung. Aber das waren noch andere Zeiten. Vor dem Hintergrund der aktuellen Wittmannschen Politik erscheint sie den Initiatoren in etwas anderem Licht. "Wir waren in früheren Jahren viel zu brav", findet Müller, "da wollte sich keiner mit Wittmann anlegen."

Mittlerweile hat sich die Schamgrenze merklich verschoben. Unterhält man sich zum Beispiel mit Ferdinand Mader, dem 71-jährigen Senior dieser Bürgerinitiative, dann bekommt man mehr als nur Argumente gegen die Verkehrspolitik des örtlichen Bürgermeisters zu hören. "Die Brüder Wittmanns erwidern meinen Gruß nicht mehr", klagt er bitter, obwohl er die beiden seit langem kenne. "Der Wittmann ist hier der Halbgott, der Messias. Was der Mann sich hier alles rausnimmt!"

Maders Vokabular offenbart, dass sich hier jemand um die Früchte seiner jahrelangen Arbeit – die Verkehrsentlastung des Ortsteils Etting – betrogen fühlt, und zwar durch den als selbstherrlich empfundenen, sachlich nicht gerechtfertigten Vorstoß eines CSU-Politikers. "Wir stehen auf der Seite des Rechts", konstatiert der BI-Anführer, von keinem Zweifel angekränkelt, als wäre ein Planfeststellungsbeschluss eine von höchster Stelle offenbarte, unverrückbare Weisheit.

Auch Mader kann auf Jahrzehnte des Engagements in den verschiedensten Ettinger Vereinen zurückblicken, war an vorderster Stelle in der Veteranen- und Reservistenkameradschaft tätig, im Sportverein, in der Kriegsgräberfürsorge. "Die stehen alle hinter uns", beginnt er eine ganze Liste von aktuellen Ettinger Vereinsvorsitzenden aufzuzählen, angefangen von Rudolf Vollnhals (Gesangverein) über Helmut Kuntscher (KAB) bis zu Xaver Wierl (Kleintierzüchter). Gut, da gebe es auch Ausnahmen wie den Chef des Sportvereins, aber der sei halt auf das Geld des Stadtkämmerers angewiesen und habe verständnislos reagiert: "Wie könnt ihr bloß gegen den Albert aufmucken"

Ferdinand Mader kennt auch Leute aus den eigenen Reihen, die sich so eingeschüchtert fühlten, dass sie sich – "Wenn mich da jemand sieht!" – nicht getraut hätten, Flugblätter der BI auszuteilen. Er selber hat da längst alle Hemmungen abgelegt. Und bei einem Misserfolg seiner Initiative droht er damit, seine Verdienstmedaille des bayerischen Ministerpräsidenten zurückzugeben. "Wenn das schief geht, kriegen die das auf den Tisch geknallt!"

Mit welch harten Bandagen in dem Ingolstädter Ortsteil gekämpft wird, zeigt auch die jüngste Stellungnahme der von Mader angeführten Gruppe. Da ist ganz offen von einem "Grundstück des Bürgermeisters Wittmann" die Rede, "welches in der Nähe der östlichen Trasse der Nordumgehung liegt". Diese Fläche könnte, so wird gemutmaßt, "ein weiterer Grund für die Ablehnung des kompletten Ausbaus" sein.

"CSU-Seilschaften"

Das scheint in der Ettinger Bevölkerung keine Einzelmeinung zu sein. "Da sind Eigeninteressen von Wittmann und den CSU-Seilschaften im Spiel", daran zweifelt ein 51-Jähriger keine Sekunde, der mit seiner Frau, einer gebürtigen Ettingerin, im Nordwesten der Ortschaft wohnt. Wer da wo genau ein Grundstück habe, das gehöre "auf den Tisch". Dann könnten die Vorwürfe auch offen ausgeräumt werden – oder eben nicht. "Für mich ist das ein Riesenschmierentheater." Seine 48-jährige Frau hält zwar viel vom Stadtkämmerer Wittmann – "der ist sparsam, der schaut aufs Geld" –, aber warum er sich jetzt gar so energisch gegen den Weiterbau der Umgehung stemmt, kann sie nicht verstehen.

"Ich vertrete nicht Einzelinteressen", beschreibt der Politiker seine eigene Rolle, "ich will die Ettinger mehrheitlich vertreten. Dafür bin ich gewählt." Dass das Grundstück seiner Familie im Nordosten des Ortes der Beweggrund seiner Initiative sei, hält er für "sehr weit hergeholt". Wittmann: "Aber sind das vielleicht keine persönlichen Interessen, wenn jemand vor seiner Haustür in Wettstetten vom Verkehr entlastet werden will"

In seinem Amtseid stehe auch, dass er "Schaden von der Stadt abwenden" soll. Genau darum gehe es ihm, nimmt der Bürgermeister für sich in Anspruch. Den Ettingern solle kein neuer Autobahnzubringer aufs Auge gedrückt werden. Unterstützung bekommt Wittmann durch die Regierung, die erst vor wenigen Tagen dem Wettstettener Bürgermeister Hans Mödl widersprochen hat: Die Planfeststellung sehe keineswegs eine "Abstufung" der Staatsstraße 2335 "oder gar deren Einziehung" vor.

Am kommenden Donnerstag, prophezeit Wittmann, werde es im Stadtrat "zum Schwur kommen", wenn über den Weiterbau der Umgehung abgestimmt wird. In der Ettinger Bevölkerung – "ich habe nicht das Gefühl, dass ich angefeindet werde" – wisse er die Mehrheit auf seiner Seite. Die vielen Unterschriften der Mader-Initiative dürfe man nicht überbewerten, die seien schon 20 Jahre alt. "Da hab’ ich sogar selbst unterschrieben."