Neuburg
Furioser Schlagabtausch

Neuburger Barockkonzerte: Ophélie Gaillard und das Pulcinella Orchestra laden zu einem "Abend im Hause Bach" ein

09.10.2016 | Stand 02.12.2020, 19:12 Uhr

Neuburg (DK) Das Thema "Väter und Söhne" geht immer, ob im heimischen Familienkreis oder in der großen Welt der Kunst. Besonders spannend aber wird es, wenn eine ganze Epochengrenze die Generationen spaltet. Wie im Fall der Bachs.

Wie soll es weitergehen nach der "Kunst der Fuge", wie kann man aus dem Schatten des allgewaltigen Vaters heraustreten? Johann Christian, der Jüngste, wählte die Straße des Erfolgs, etablierte sich im internationalen Opernbetrieb, schuf einen eleganten, melodischen und glänzenden Stil - und wurde damit zum künstlerischen "Vater" Mozarts. Wilhelm Friedemann, der Älteste, schaffte es nicht. Obschon hoch talentiert, fehlten ihm die große Vision und das nötige Durchsetzungsvermögen, ein schwieriger, labiler Charakter, der sich offenbar auch selbst im Weg stand. Umso interessanter ist heute Friedemanns Musik, die gleichsam auf der Suche bleibt, zwischen Alt und Neu, keinen festen Stil definieren mag. Und dann ist da natürlich noch Carl Philipp Emanuel, der es geschafft hat, selber Epoche zu machen, der unbestrittene Meister der Empfindsamkeit. Der "Abend im Hause Bach", der bei den diesjährigen Neuburger Barockkonzerten zu erleben war, galt vor allem seiner Musik, die im gewöhnlichen Konzertbetrieb viel zu wenig präsent ist.

Der Aufsehen erregendste Beitrag zum ansonsten eher lauen "C. P. E.-Bach-Jahr" 2014 kam damals aus Frankreich, eine inzwischen vielfach preisgekrönte CD der Barockcellistin Ophélie Gaillard mit ihrem Pulcinella Orchestra. Auch live im Neuburger Kongregationssaal ließ das noch relativ junge Ensemble aufhorchen: Es spielt historisch informiert, transparent und artikuliert, aber (in homogener Übereinstimmung) auch sehr klangsatt, rund und organisch, ohne künstliche Ecken und Kanten, lebhaft ohne jenen forcierten Druck, wie man ihn manchmal bei den ebenfalls temperamentvollen Italienern spürt. Präzis lancieren alle Streicher ein durchschlagskräftiges Unisono, dann wirbeln die Violinen los in virtuoser Übereinstimmung, dann Stopp - und weiter in wieder anderer Richtung: Carl Philipp Emanuel Bachs Musik lebt von Kontrasten, überraschenden Wendungen und emotionalen Umschwüngen, etwa in der Sinfonia (Wq. 182,3), wo plötzlich ein gewaltiger Herzensschrei den langsamen Satz herbeizwingt oder wo im dritten Satz ruppige Basstöne dem zart-empfindsamen Thema nachäffen.

Das Pulcinella Orchestra setzt diese Kontraste nicht auf, sondern empfindet sie aus der inneren Struktur der Musik heraus - und damit umso eindringlicher, erschütternder. Auf diese Weise wird auch das bekannte Cello-Konzert in a-Moll (Wq. 170) zu einem ungemein fesselnden, ja elektrisierenden Drama: Das bald melodisch klagende, bald brillant figurierende Cello gegen das wütend dreinfahrende, dunkel stürmende, immer wieder den Fluss der Musik zerhackende Orchester. Mit subtiler Tongebung auf ihrem stachellosen Barockcello legt Ophélie Gaillard den expressiven Kern dieser Musik frei, glänzt aber auch mit höchst extrovertierter, kraftvoller Virtuosität (das vor allem im A-Dur-Konzert Wq. 172). Interessant die klanglich wärmere und flexiblere Begleitung mit Hammerklavier statt Cembalo, selbst in einer Sonata von Johann Sebastian Bach. Vielleicht hätte er dieses neumodische Instrument auch gerne bei sich zu Hause?

Und mit welchem Temperament diese komplexe Kammermusik erfüllt war! Statt gelehrter Konversation gab es in der Fuge einen furiosen Schlagabtausch dreier springlebendiger Stimmen. Polyfonie muss eben nicht von gestern sein. Der "alte Bach" kann noch immer mit seinen Söhnen mithalten! Schade, dass Johann Christian nicht mit dabei war, aber auch so war es ein faszinierender, anregender und das Publikum begeisternder Abend bei den Bachs.