Eichstätt
Für ein friedliches und vereintes Europa

Eichstätt und die tschechische Stadt Chrastava feiern zehnjähriges Bestehen der Partnerschaft – Ein Rückblick

06.09.2012 | Stand 03.12.2020, 1:06 Uhr

 

Eichstätt/Chrastava (EK) Vor zehn Jahren haben die Repräsentanten der Städte Eichstätt und Chrastava (Tschechien) eine Partnerschaft geschlossen. Jetzt wird das zehnjährige Bestehen dieser Verbindung, deren Wurzel in der Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg liegt, gefeiert. Ein Rückblick.

Mit der mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs einsetzenden Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus dem Osten des ehemaligen Reiches mussten auch die Menschen aus der ehemaligen deutschen Stadt Kratzau in der früheren Tschechoslowakei ihre Heimat verlassen. 1946 gelangte ein Transport von heimatvertriebenen Kratzauern nach Eichstätt. Zwar war die Stadt an der Altmühl für die meisten von ihnen nur eine Zwischenstation auf ihrem weiteren Weg innerhalb Deutschlands oder auch ins Ausland, doch ihre jährlich stattfindenden großen Treffen hielt die von den Vertriebenen gegründete und heimatverbundene Kratzauer Gilde weiter in Eichstätt ab. Eichstätt war für sie quasi ein Synonym eines – wenn auch erzwungenen – Neuanfangs geworden. Das im Hofgarten errichtete Führich-Denkmal – es erinnert an den großen Sohn der Stadt, den Maler Joseph Ritter von Führich, (1800 bis 1876) – sowie die Kratzauer Straße in Eichstätt sind Ausdruck dieses Neubeginns und zugleich eine Reminiszenz an die alte Heimat.

Schon im Jahr 1953 schloss die Stadt Eichstätt einen Patenschaftsvertrag mit der Kratzauer Gilde. Aus dieser jahrzehntelangen losen Verbindung ging schließlich im Jahr 2002 eine Partnerschaft hervor, die im August beim Besuch einer Eichstätter Delegation unter Leitung von Oberbürgermeister Arnulf Neumeyer in Chrastava, wie die im heutigen Tschechien liegende Stadt jetzt heißt, unterzeichnet wurde. Treibende Kräfte für diese Partnerschaft waren auf Eichstätter Seite der langjährige Geschäftsführer des Alten Stadttheaters, Ingobert Schön, und Eichstätts Rathausspitze OB Neumeyer und sein Stellvertreter Josef Schmidramsl. Auf tschechischer Seite waren dies vor allem der damalige Bürgermeister Chrastavas, Petr Medricky, und die Kulturbeauftragte Zuzanna Safarkova. Mitgewirkt haben auch die Vertreter der Kratzauer Gilde, Rudolf Engel und Arno Miesler.

In der vor zehn Jahren unterzeichneten Partnerschaftsurkunde, die bis vor kurzem noch im Treppenhaus des Eichstätter Rathauses hing, heißt es: „Mit dieser Vereinbarung tragen die beiden Städte Chrastava und Eichstätt Anteil an den staatlichen und internationalen Bemühungen zu einem neuen Anfang in Gerechtigkeit und Frieden in Europa.“

Sowohl OB Neumeyer als auch sein Kollege Medricky nannten die Unterzeichnung einen Schritt in ein friedliches und vereintes Europa. Beide appellierten an die Bürger ihrer Städte, diese Partnerschaft nun auf gesellschaftlichen und kulturellen Ebenen mit Leben zu füllen. Gleichzeitig mit der Unterzeichnung der Partnerschaftsurkunde wurde auch ein „Eichstätter Weg“ in Chrastava getauft und eröffnet. Auch er sollte symbolisch ein Brückenschlag zwischen den Städten, zwischen den Ländern und zwischen der Vergangenheit und Gegenwart in eine Zukunft sein.

Neben offiziellen Besuchen beider Seiten gab es vor allem im Jugendbereich in den vergangenen Jahren einen regen Austausch. Zum einen war und ist die Mittelschule Schottenau aktiv, deren Klassen schon ab 2002 immer wieder nach Chrastava reisten, und die tschechische Schülerinnen und Schüler aus der Partnerschaft in Eichstätt begrüßen konnte – vor kurzem erst war ein Teil der Lehrerschaft in Tschechien. Vor allem aber der SV Marienstein (SVM) hat sich die Pflege und Intensivierung der Verbindung auf sportlicher Jugendebene auf die Fahnen geschrieben.

Bereits 2004 kam es zu einem ersten Städtecup um die Partnerschaft auf dem Gelände des ausrichtenden SVM. Insgesamt 120 Jugendliche aus Eichstätt (SVM, VfB, DJK) und Chrastava (Vertreter aus der italienischen Partnerstadt Bolca konnten wegen einer Großveranstaltung in ihrer Heimatgemeinde nicht teilnehmen) kickten um den Cup der Städtepartnerschaft. Seitdem gibt es diesen Wettbewerb, dem sich inzwischen auch die polnische Stadt Lwolek Slaski (Partnerstadt Chrastavas) angeschlossen hat. Dort fand erst vor kurzem ein sportlicher Jugendwettkampf statt. Weitere Kontakte pflegten der Fanfarenzug Eichstätt, die Feuerwehr und vor allem die Stadtkapelle.

Dass eine Partnerschaft auch in schwierigen Zeiten trägt, bewiesen die Eichstätter vor zwei Jahren. Im August 2010 wurde Chrastava von einer verheerenden Flutwelle überrollt. Solidarität und Hilfe aus Eichstätt blieben nicht aus. Ein Spendenaufruf brachte insgesamt etwa 45 000 Euro, die eine Delegation aus Eichstätt nach Chrastava brachte.

Für kleine Misstöne allerdings sorgte der Vorsitzende der Kratzauer Gilde, Rudolf Engel, kurz nach der Berichterstattung über die Hilfeleistungen aus Eichstätt für die schwer von der Flut getroffene Partnerstadt. Er wie Mitglieder der Gilde beschwerten sich über die Verwendung des tschechischen Namens Chrastava. Aus Sicht der Gilde müsse der Name Kratzau verwendet werden. Engel kündigte sogar an: „Wenn das weiterhin so bleibt, wollen wir von der Patenschaft zwischen Eichstätt und der Kratzauer Gilde nichts mehr wissen“. Bislang allerdings blieb es bei der Absichtserklärung. Und das dürfte auch gut so sein.

Die meisten Kratzauer, die damals vertrieben wurden, haben längst ein neues Zuhause gefunden – auch wenn es der Vertriebenengeneration nicht leicht gefallen ist, die Heimat ganz aufzugeben. Als vor zehn Jahren bei der Unterzeichnung der Urkunde auch einige ehemalige Kratzauer der Einladung der Stadt Eichstätt gefolgt waren und ihre alte Heimat wieder besuchten, stand für die meisten beim Gang durch die Stadt und ihre ehemaligen Wohnstätten fest: „Für uns hat damit ein Lebensabschnitt geendet“. Gedanken an eine Rückkehr oder eine Entschädigung wurden bei den in Eichstätt längst sesshaft gewordenen Kratzauern weggewischt. „Von uns will niemand mehr zurück, wir haben doch ein neues Zuhause in Eichstätt gefunden“, erklärte die damals 79-jährige Margit Roschu, die mit ihren beiden Schwestern mitgereist war. Und sie fügte hinzu: „Man muss doch auch einmal vergeben können.“

Auch die Kratzauer Gilde sah sich vor zehn Jahren am Ziel: Der Aufbau eines Archivs mit knapp 1000 Adressen aller aus Kratzau Vertriebenen und in alle Welt verstreuten Sudetendeutschen Kratzauern sowie der Abschluss der Partnerschaft sei „der letzte Akt in der Geschichte der Kratzauer Gilde“ gewesen, ließ Rudolf Engel damals wissen. Die Gilde werde wohl aussterben: „Nachwuchs gibt es nicht mehr.“

Mit der Unterzeichnung der Urkunde vor zehn Jahren ist ein Geschichtsabschnitt beendet und gleichzeitig ein neuer begonnen worden. Der findet am kommenden Samstag, 8. September, bei der Jubiläumsfeier seine Fortsetzung.