Ingolstadt
Fühlen wie ein Flüchtling

In der Leo-von-Klenze-Schule versetzt ein Erlebnispfad die Schüler in die Rolle von Asylbewerbern

26.07.2016 | Stand 02.12.2020, 19:30 Uhr

Beklemmende Enge: Um annähernd nachzufühlen, wie die Flucht über das Meer abläuft, konnten die Schüler in diesem Boot des THW Platz nehmen. - Foto: Brandl

Ingolstadt (DK) Menschen fliehen. Krieg und Not treiben sie in ein unberechenbares Schicksal, weit ab von ihrer eigentlichen Heimat. Die Ankunft in Deutschland: für viele die Rettung nach einer aufreibenden und langen Flucht über das Meer.

In Deutschland kennt man das Schicksal der Flüchtlinge meist nur aus dem Fernsehen. Um es plausibler, ja, greifbarerer zu machen und auch um dazu beizutragen, Barrieren zwischen Asylsuchenden und Einheimischen abzubauen, hat sich die Leo-von-Klenze-Berufsschule für ihre zehnten Klassen einen speziellen Erlebnispfad ausgedacht, auf dem die Schüler quasi selbst zu Flüchtenden werden. Manche von ihnen sogar vor dem Hintergrund, dass Eltern, Großeltern oder Urgroßeltern einst ein ähnliches Schicksal zu verkraften hatten wie die Fliehenden heute.

Eigentlich sind sie angehende IT-Fachkaufleute. Heute schlüpfen sie in die Rolle von Flüchtlingen. "Keiner kann sich dem Thema noch entziehen", erkennt Moderatorin und Jugendsozialarbeiterin Sylvia Gartner zu Beginn der Reise in der Aula. Die Berufsschüler ohnehin nicht, denn an der Leo-von-Klenze-Berufsschule werden derzeit auch rund 120 unbegleitete jugendliche Flüchtlinge im Alter zwischen 16 und 18 Jahren auf ein Leben in Deutschland vorbereitet. Für die Berufsschüler wiederum ist das Projekt laut Schulleiterin und Ideengeberin Gisela Sommer die letzte Möglichkeit der aktiven Auseinandersetzung mit dem Thema vor dem Einstieg ins Berufsleben.

Drei Gegenstände. Mehr darf eine Gruppe nicht mitnehmen auf den Weg in ein besseres Leben. Anhand von Symbolkarten müssen die Schüler sich für Dinge entscheiden, von denen sie glauben, dass sie wichtig seien. Wasser ist bei jeder Gruppe dabei. Essen sowie Textilien wie Schuhe und Hose bei vielen, vereinzelt Tabletten, Geld und Reisepass. Mit diesen Dingen geht es auf das Schiff. Besser gesagt: ein Boot, ausgelegt höchstens für ein paar Personen. Mehr als 20 Leute zwängen sich in diesem Rollenspiel an Bord. Bis zu 70 sollen es gewesen sein, als er mit einem ähnlichen Boot die Flucht über das Meer ergriffen hat, erzählte kürzlich ein Flüchtling an der Schule, berichtet Gartner. Es folgt ein Moment der Sprachlosigkeit. Weiter geht es zur symbolisierten bayerischen Staatsgrenze, wo Formulare auszufüllen sind. Jedoch in einer Sprache, die keiner der Ankommenden beherrscht. "Man fühlt sich ausgeliefert", heißt es in der Gruppe. Es folgen noch mehr solcher Eindrücke.

Zuletzt bauen die Flüchtlinge auf Zeit eine symbolische Brücke über die Donau nach Ingolstadt. Jetzt sind sie angekommen in einem gewaltfreien, besseren Leben, wie Gartner es formuliert. Die beklemmende Enge auf dem Boot, die keinen Raum für Intimsphäre lässt - sie hat die Schüler am stärksten bewegt, stellt sich anschließend im Gespräch heraus. "Die Idee ist ganz gut, aber die Stimmung in der Gruppe ist noch zu locker", findet ein Schüler. Dennoch sei man gezwungen, sich über die Situationen Gedanken zu machen, so eine Teilnehmerin. Genauso unterschiedlich fallen auch die Gedanken zur Flüchtlingsthematik aus, die die Schüler zuvor anonym auf Zettel schreiben. Von Offenheit ohne Vorurteile ist da ebenso die Rede wie von der Befürchtung, es könne Konflikte geben. Über eines ist man sich zum Ende im Klaren: Der Kontakt zwischen einheimischen Schülern und den Flüchtlingen an der Schule - er könnte noch weiter vertieft werden.