Schweitenkirchen
Frischzellenkur für den Torpedo

Der Schweitenkirchener Hans Badhorn restauriert einen 108 Jahre alten Opel - Jungfernfahrt im Herbst

18.06.2019 | Stand 25.10.2023, 10:33 Uhr
Fast fertig: Für den Herbst plant Hand Badhorn die Jungfernfahrt mit seinem Opel Torpedo. −Foto: Herchenbach

Schweitenkirchen (PK) Der Mann hat Ausdauer: Seit sechs Jahren schon werkelt Kfz-Meister Hans Badhorn an einem Opel herum, um ihn verkehrstauglich zu machen. Aber auf ein paar Monate mehr oder weniger kommt's jetzt auch nicht mehr an. Denn seit Jahrzehnten hat der Opel "Torpedo" keine Asphaltstraße mehr unter den Pneus gehabt. Sein Baujahr: 1911.

 


108 Jahre alt? Man traut seinen Augen nicht, wenn man Badhorns Werkstatt in Schweitenkirchen betritt: Da steht wie aus dem Ei gepellt, lackglänzend und messingblitzend, ein Oldtimer aus einer Zeit, als Autos noch Kraftdroschken hießen. Motorhaube, Stoßstangen, die hinteren Kotflügel und auch die Scheinwerfer müssen noch montiert werden. Alles, wirklich jedes Detail an diesem Gefährt bis hin zur kleinsten Schraube hat der 71-Jährige restauriert. Den Motor, der von Kesselstein angefressen war, komplett zerlegt. Zylinder, Kolben, Pleuelstangen nachgeschliffen. Über Holzformen die Kotflügel bearbeitet, Messingschrauben nachgeformt, das Lenkrad aus Holz und Messing hergestellt und sogar mit einem Freund den Tacho nachgebaut. Um die Nockenwelle aufzuarbeiten, hat er sich extra eine Schleifvorrichtung gebaut.

Keine Ahnung, sagt Badhorn, wie viele Stunden er bisher investiert hat, um den Oldtimer flott zu machen. Was treibt jemanden an, der an der Drehbank steht, um über Stunden akribisch eine Messinghalterung nachzubauen, die einmal die Motorhaube fixieren soll? "Das ist die Freude, Lösungen zu finden, um solche Teile herzustellen. Handwerklich die totale Herausforderung", strahlt er. Und wenn's geklappt hat, sei das ein ähnliches Glücksgefühl wie bei einem Musiker über eine gelungene Aufführung. Der Unterschied ist nur: Wenn beim Musiker der letzte Ton verklungen ist, hat Badhorn immer noch was in der Hand, was er ansehen und anfassen kann.

Vor acht Jahren hat er den Wagen, der an eine überdimensionale Seifenkiste erinnert, in Österreich entdeckt. Eigentlich sollte er ins Museum, aber beim genauen Hinsehen stellten die Kuratoren dann fest, dass er unsachgemäß repariert worden war. Falsche Teile, falsches Material. Badhorn zeigt auf Stahlnägel in der Lederpolsterung: Geht gar nicht! Da muss er noch ran. Jetzt ist er Rentner, und da hat er ja, sagt er, Zeit.

Der gebürtige Pfaffenhofener ist nicht nur seiner Heimat Schweitenkirchen treu geblieben - er ist Ehrenschützenmeister der Eichenlaub-Schützen -, sondern auch der Automarke. Fast vier Jahrzehnte war der Kfz-Meister bei Opel Straub als Service- und damit Werkstattleiter beschäftigt. Auf seinem Hof und in der Garage parken Opel, allerdings Modelle aus dem 21. Jahrhundert.

Der Torpedo ist eine absolute Rarität. Keine 600 Stück sind davon gebaut worden, weltweit sind gerade mal zehn Exemplare bekannt. Die etwas hochtrabend klingende Modellbezeichnung "Torpedo" für ein 14-PS-Auto ist der leicht zur Windschutzscheibe hochgezogenen Kühlerhaube zu verdanken, damals ein erster Schritt hin zu windschnittigen Stromlinienform. Mehr als Tempo 60 gibt der Vierzylindermotor nicht her, aber damit fühlte man sich in der Kaiserzeit schon im Geschwindigkeitsrausch. Wohl mit ein Grund, warum die Rückspiegel fehlen. Denn es gab nichts und niemanden, der den Torpedo hätte überholen können.

Dafür aber ist der Oldie gleich mit vier Scheinwerfern ausgestattet, zwei Funzeln, wie auch das rote Rücklicht, mit Petroleum; für Überlandfahrten war das Einschalten der beiden Karbidlampen vorgeschrieben, ein helles Gaslicht, das erst 20 Jahre zuvor erfunden worden war. Beeindruckend die wegen der damaligen Straßenverhältnisse notwendige Bodenfreiheit von 35 Zentimetern. Damit stellt der Torpedo jeden modernen Geländewagen in den Schatten.

Was auf den ersten Blick auffällt: Der Wagen besitzt nur eine Tür, und zwar auf der linken Seite, das Lenkrad ist rechts, der Fahrer steigt also über die Beifahrerseite ein. Auf seiner Seite hätte eine Tür auch keinen Platz, weil dort das Reserverad festgeschraubt ist.

Damalige Automobilisten mussten Frischluft-Fanatiker sein: Das Lederverdeck wurde nur im Notfall hochgezogen, Seitenscheiben waren auch deshalb nicht vorgesehen, weil sich Schalthebel und Handbremse, natürlich ebenfalls aus blitzendem Messing, außerhalb des Fahrzeugs befinden. Wer jetzt denkt, das war's an Basiswissen, um diesen schmucken Zweisitzer in Gang zu bringen, irrt gewaltig. Der Motor wurde mit einer Kurbel gestartet, und wenn man nicht aufpasste, schlug die Kurbel beim Anspringen zurück. "Das konnte dir schon das Handgelenk und den Arm verletzen", sagt Badhorn. Starb der Motor während der Fahrt ab, musste der Fahrer aussteigen und ihn ankurbeln, weshalb ein Anlasser eingebaut wurde.

Bis Hans Badhorn im Herbst hinterm Steuer sitzen kann, muss sein Oldie-Opel durch den TÜV. Kein Problem, denn dort stößt er auf größtes Wohlwollen. "Alte Liebe rostet nicht", schreiben im Internet die Prüfer, die ihn als "kraftfahrzeugtechnisches Kulturgut" mit einem H-Kennzeichen adeln werden. "Beim Anblick eines polierten Klassikers beginnt auch unser Puls zu rasen."

 

Blick ins Handbuch

„Eine Verkörperung unserer modernen Zeit“ nannte Fritz Opel, Chefkonstrukteur und Sohn von Adam Opel, in seinem Vorwort zum „Handbuch für kleine Opel-Wagen“ das „Kraftfahrwesen“ mit seiner „Technik in des Wortes vornehmster Bedeutung“. Und in die tauchte der Fahrer, bevor er Gas geben konnte, tief ein. Weil es keine Benzinpumpe gab, musste erst einmal mit einer Messingpumpe unterm Lenkrad Luft in den 45-Liter-Tank gedrückt werden. Und damit dieser Druck erhalten bleibt, ist der Auspuff an den Tank angeschlossen. „Blöd waren’s damals nicht“, schmunzelt Badhorn. 
Dann wurde die „Baggerölung“ in Betrieb gesetzt. Ein Ventil an einem Drei-Liter-Messing-Kasten links neben dem Lenkrad musste ständig nachjustiert werden, damit genug Öl in eine Wanne unterhalb des Motors gelangte, das von eintauchenden Pleueln im Motorinneren verschleudert wurde. Dass er zu viel Öl zugab, erkannte der Fahrer nicht an einem Messinstrument, sondern daran, dass der Motor anfing zu rauchen. 
Das Handbuch gibt den Rat, „auf eine gute Allgemeinverfassung des Wagens“ zu achten. Eine „Generalrevision“ sei vor Antritt einer großen Reise nicht nötig, „abgesehen vielleicht vom neuen Einschleifen der Ventile, Nachspannen dˆer Ventilfedern und Stößel, Säuberung und Revision des Magneten und des Vergasers“. Wenn es weiter nicht ist... Ärzte, Professoren oder Unternehmer, die sich den Torpedo leisten konnten, gaben deshalb gern Geld für einen Chauffeur aus, damals ein respektabler Beruf. Dem gab das Handbuch unter der Kapitelüberschrift „Die Kunst des Fahren“ mit auf den Weg: „Noblesse oblige!“ Man möge am Steuer seine „gute Erziehung nicht verleugnen“. „Grausam ist es, harmlose ungeschickte oder unvorsichtige Hunde unter den Rädern des Wagens zu zermalmen, brutal, im Dreißigkilometertempo auf die Haltestelle einer Straßenbahn loszufahren und viele Menschen zu panikartiger Flucht zu treiben, unklug, sich mit irgendeinem schlecht ausweichenden Kutscher in schreiende Dispute einzulassen.“

 

Albert Herchenbach