München
Freigiebiger Freistaat im Zwiespalt

Wohnort bei Familiengeld für Hartz-IV-Bezieher entscheidend?

31.08.2018 | Stand 23.09.2023, 3:57 Uhr
Familie Schick aus Schwaben ist eine der ersten Familien, die einen Bewilligungsbescheid für das Familiengeld erhalten hat. −Foto: Matthias Balk (dpa)

München/Berlin (DK) Das bayerische Familiengeld spaltet nicht nur Bundes- und Staatsregierung, sondern auch Bayern: Nur zehn der 93 Jobcenter unterstehen dem Freistaat, und diese zehn rechnen das neue Familiengeld vorerst definitiv nicht an den Hartz-IV-Satz an. Die restlichen Jobcenter befinden sich in der Zwickmühle: Der Bund fordert, die 250 Euro im Monat vom Hartz-IV-Satz abzuziehen. Der Freistaat gibt Order, das zu unterlassen. Im Jobcenter Ingolstadt aber hat allein der Freistaat das Sagen.

Es ist eines der wichtigsten Wahlkampfthemen von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) vor der Wahl am 14. Oktober: Familien sollen weiter gefördert werden, bekommen ab dem 1. September 250 Euro für Kinder im zweiten und dritten Lebensjahr.

Streit entbrannt ist allerdings darüber, wie mit den 240000 Kindern verfahren wird, deren Eltern für sie Sozialleistungen nach dem Sozialgesetzbuch II beziehen. Besser bekannt sind diese Leistungen als Hartz IV. Bundessozialminister Hubertus Heil (SPD) hat angekündigt, dass er rechtliche Schritte einleiten werde, wenn der Freistaat seine Weisung an die bayerischen Jobcenter vollziehe, das Familiengeld nicht an die Hartz-IV-Leistungen anzurechnen.

Das aber würde den Freistaat spalten. Denn als die Jobcenter eingeführt wurden, gab es für die Landkreise und größeren Städte die Wahl. Das Jobcenter konnte entweder unter der Obhut des Bundes eingerichtet werden, wie man das von den Arbeitsämtern kennt, oder aber von den Kommunen selbst - in Kooperation mit dem Freistaat Bayern. Die Bayern-Option wurde nur für zehn der insgesamt 93 bayerischen Jobcenter gewählt.

Eine sogenannte Optionskommune ist auch die Stadt Ingolstadt. Das machte in der Vergangenheit keinen Unterschied. Aber jetzt könnte es auf einmal entscheidend werden. Johannes Lechermann, der stellvertretende Leiter des Jobcenter Ingolstadt, sagte am Freitag auf Anfrage: "Wir rechnen das Familiengeld derzeit nicht an." Er verwies auf die verschiedenen Träger und Fachaufsichten der Jobcenter, die auch im Sozialgesetz in zwei verschiedenen Paragrafen behandelt werden. Aber Lechermann räumt ein: "Es ist ein komplexes Thema - und die Aufsicht ist noch komplexer." Dann fügt er kopfschüttelnd hinzu: "So etwas gibt es nur in Deutschland..."

Der Sozialreferatsleiter der Stadt Ingolstadt, Wolfgang Scheuer, machte die Sache am Freitag mit einer Pessemitteilung amtlich: "Die Anrechnung des Familiengeldes auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitslose ist rechtlich umstritten. Das Jobcenter Ingolstadt unterliegt als sogenannte Optionskommune der Aufsicht des Landes Bayern. Dieses hat die Optionskommunen angewiesen, das Familiengeld nicht auf die zustehenden Leistungen anzurechnen. Der Bund hat von seinem Weisungsrecht gegenüber dem Land Bayern bisher keinen Gebrauch gemacht. Das Jobcenter Ingolstadt wird deshalb bis zu einer gegenteiligen Weisung keine Anrechnung des Familiengeldes vornehmen." Neben Ingolstadt gibt es kommunale Jobcenter noch in der Stadt Schweinfurt, dem Landkreis Miesbach, dem Kreis Ansbach, der Stadt Erlangen, dem Kreis Günzburg, der Stadt Kaufbeuren, dem Landkreis München, dem Kreis Oberallgäu und dem Kreis Würzburg.

Es könnte also im sonderbarsten Fall demnächst passieren, dass es vom Wohnort abhängt, ob eine bayerische Hartz-IV-Familie das Familiengeld für ihre Kleinkinder ausgezahlt bekommt oder darauf verzichten muss. Denn zumindest in den Gebieten der zehn "Options-Jobcentern" könnte sich der freigiebige Freistaat juristisch eine ganze Weile gegen die harte Linie des Bundes und dessen Anweisungen wehren. Ob der Streit noch vor der Landtagswahl beigelegt werden könnte, ist zweifelhaft - denn wie es aussieht, werden am Ende die Sozialgerichte entscheiden.

Christian Eckl, Richard Auer