Fichtls Traum vom Glück

30.01.2009 | Stand 03.12.2020, 5:14 Uhr

Manche Mitreisende auf der "MS Europa" schütteten ihm ihr Herz aus: Matthias Politycki erzählte von seiner Weltreise. - Foto: Rössle

Ingolstadt (DK) "Kleider machen Leute" hieß es schon in Gottfried Kellers berühmter Novelle. Dieses Motto gilt auch für Johann Gottlieb Fichtl, den Protagonisten in Matthias Polityckis Schelmenroman "In 180 Tagen um die Welt".

Die Veranstaltung entpuppte sich nur zur Hälfte als Lesung, denn Politycki sucht das Gespräch mit den Zuhörern, unterbricht sich immer wieder und ermuntert dazu, Fragen zu stellen – was die Form seines Textes erleichtert: Fichtls "Logbuch" ist in 184 Kapitel gegliedert, die alle nur anderthalb Buchseiten umfassen; zu jedem Kapitel gibt es ein Foto – wovon die Zuhörer vor der Lesung zur Einstimmung etliche als Beamer-Präsentation gezeigt bekamen.

Wer "In 180 Tagen um die Welt" bereits kannte, konnte Polityckis Plaudereien über Entstehung und Hintergründe seines Buches mit Vergnügen lauschen: Denn der Autor hatte auf Einladung der Reederei Hapag-Lloyd selbst als "Schiffsschreiber" eine sechsmonatige Kreuzfahrt auf der "MS Europa" ("das schönste Schiff der Welt") unternommen und dabei reichlich die Gelegenheit genutzt, die Dekadenz der "oberen Zehntausend", die für einen Schriftsteller sonst eher unzugänglich sind, zu studieren. Damit er sich bei seinen folgenden Aufzeichnungen nicht blamieren würde, hatte ihm sein Verleger extra ein "Nautisches Lexikon" geschenkt – doch dieses lieh sich sofort der Kapitän aus, um es dann nicht wieder so schnell herauszurücken.

Die Verhaltensweisen und Ereignisse, die Politycki schildert, sind zu einem gut Teil der Realität entnommen – nicht aber die Personen: Denn er musste sich verpflichten, keine Porträts realer Gäste zu liefern, um diese nicht zu vergraulen: "Ich ging daher nicht alleine an Bord, ich hab meine Gäste alle mitgebracht" – wie etwa Kristina Kipp-Oeljeklaus, aus Polityckis Œuvre seit dem "Weiberroman" bestens bekannt.

Der Autor erzählt von den Marotten der Mitreisenden, er empfindet Mitleid, wenn ihm ein Mitpassagier von seinen Sorgen erzählt, nicht so recht zu wissen, wie er die Million, die er alle zwei Wochen verdient, am besten wieder anlegt, er lernt Ehepaare kennen, die sich getrennte Suiten mieten. Man erfährt von altem Unternehmer-Adel und protzigen Neureichen, von Hochstaplern und verarmten Luxus-Passagieren, die plötzlich bei der Mannschaft anheuern müssen, um sich die Weiterfahrt leisten zu können. Zu den Mitreisenden zählen Stars wie Roberto Blanco (den der Erzähler hinreißend karikiert) oder Udo Lindenberg.

Der Autor kann zu den großen Ironikern unter den Erzählern der Gegenwart gerechnet werden – doch manche Pointen erschließen sich erst, wenn man Politycki lesen hört, der mindestens ein halbes Dutzend an Stimmen im Repertoire hat, wenn er seine Figuren sprechen lässt. An Bord war der Autor aber auch ein guter Zuhörer: "Manche Mitreisende sahen in mir den Bord-Pfarrer, dem sie ihr Herz ausschütten können", erzählt er. Ein LeseLust-Abend, der Lust aufs Weiterlesen in diesem Logbuch weckte.