Wolfsburg (DK
Fataler Lieferstopp

Streit zwischen VW und Prevent-Töchtern bringt auch andere Unternehmen in Schwierigkeiten

22.08.2016 | Stand 02.12.2020, 19:24 Uhr

Wolfsburg (DK/dpa/AFP) Der Konflikt mit zwei Zulieferern hält Volkswagen in Atem. Rund 28 000 VW-Beschäftigte sind von Produktionsdrosselungen betroffen. Und auch andere VW-Lieferanten könnten durch den Streit ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen werden.

Der beispiellose Konflikt von Volkswagen mit zwei wichtigen Zulieferern erreicht immer neue Dimensionen. Bei VW stehen angesichts eines Lieferstopps viele Bänder still, bislang sind etwa 28 000 VW-Mitarbeiter von dem Zwist betroffen.

Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur mühten sich der Autobauer und die Lieferanten gestern um eine gütliche Einigung. Ergebnisse gab es am frühen Abend zunächst nicht. Die Zulieferer ES Automobilguss und Car Trim, die zur Unternehmensgruppe Prevent der bosnischen Familie Hastor gehören, beliefern VW derzeit nicht mit benötigten Getriebeteilen und Sitzbezügen. Zwischen den Firmen und dem größen europäischen Automobilhersteller tobt ein Streit um die Kündigung von Aufträgen. Die Hintergründe sind weiterhin unklar.

Der Lieferstopp wirbelt inzwischen große Teile der Produktion bei VW empfindlich durcheinander. Allen voran steht die Golf-Produktion im Stammwerk Wolfsburg still. Wie der Autohersteller gestern mitteilte, könnten insgesamt 27 700 Mitarbeiter in den Werken Wolfsburg, Emden, Zwickau, Kassel, Salzgitter und Braunschweig teils noch bis Ende August nicht so arbeiten, wie es eigentlich geplant sei. Volkswagen sprach von "Flexibilisierungsmaßnahmen bis hin zu Kurzarbeit". Das Unternehmen versuche aber weiterhin, "eine Einigung mit den Lieferanten herbeizuführen".

Nach Branchenangaben stehen hinter der Golf-Produktion rund 500 Zulieferfirmen, die nun durch den Streit zunehmend in Schwierigkeiten geraten. Wegen der Montageengpässe bei VW könnten sie ihre Teile nicht ausliefern und müssten Bestände aufbauen. "Die Folgewirkungen für die gesamte Wertschöpfungskette sind schon heute beträchtlich", sagte der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik, Christoph Feldmann.

Auch der Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes NiedersachsenMetall, Volker Schmidt, sieht die Entwicklung mit Sorge. "Spätestens jetzt, da die Produktion im Stammwerk in Wolfsburg aussetzt, droht die Situation voll auf die Zuliefererketten durchzuschlagen", warnte Schmidt. Aus dem Feuer dürfe kein Flächenbrand werden. Alle Beteiligten sollten sich deshalb schnellstmöglich um eine Einigung bemühen.

Auch das Bundeswirtschaftsministerium dringt auf eine rasche Lösung. "Wir gehen davon aus und erwarten auch, dass die beteiligten Unternehmen die ungeklärten Fragen so bald wie möglich lösen können", sagte ein Ministeriumssprecher in Berlin.

VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh attackierte die beiden Zulieferer: "Nach unserer Auffassung liegt die Verantwortung eindeutig beim Zulieferer. Oder glauben Sie, wir als Betriebsrat fragen nicht, wessen Schuld es ist, dass unsere Kollegen zu Hause bleiben müssen", sagte Osterloh der "Bild"-Zeitung..

Die beteiligten Zulieferer dagegen argumentieren, VW zwinge sie zu dem Lieferstopp, da der Autobauer "frist- und grundlos" Aufträge gekündigt habe und einen finanziellen Ausgleich dafür ablehne. Der Lieferstopp geschehe zum Selbstschutz und im Kampf für die Zukunft der eigenen Mitarbeiter. Bei der Firma ES Automobilguss in Schönheide im Erzgebirge ist für heute, Dienstag, eine Betriebsversammlung geplant, wie die dpa erfuhr.

VW setzt auf eine gütliche Einigung, hat aber bereits angekündigt, notfalls alle rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen. Das Landgericht Braunschweig hatte einstweilige Verfügungen erlassen, welche die Lieferanten zur Wiederaufnahme der Belieferung verpflichten. VW könnte aber frühestens Ende dieser Woche seine Ansprüche per Gerichtsvollzieher durchsetzen und die Teile holen lassen.

Die Finanzaufsichtsbehörde Bafin prüft nach dem Produktionsstopp bei VW, ob der Konzern die Öffentlichkeit früher über die Probleme hätte informieren müssen. "Wir werden uns das Ganze anschauen", sagte gestern eine Behördensprecherin. Die Bafin werde prüfen, ob es sich bei dem Streit mit Zulieferern und dem folgenden Produktionsstopp um eine Insiderinformation gehandelt habe, die VW hätte veröffentlichen müssen.

Die VW-Pläne für die Zahlung von Kurzarbeitergeld im aktuellen Streit mit den beiden Zulieferern stoßen bei der Union auf Kritik. "Kurzarbeit ist keine Streikkasse für Unternehmen, die sich im Wirtschaftskampf befinden und eingegangene Verträge mutwillig nicht einhalten", sagte der arbeitsmarktpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Karl Schiewerling (CDU), der "Süddeutschen Zeitung".