Fast ein Freundschaftsspiel

25.06.2008 | Stand 03.12.2020, 5:48 Uhr

Mit Kopftuch und Kappe: Der Halbmond war sehr präsent. Fast überall sahen deutsche und türkische Fußballfans das Spiel gemeinsam.

Ingolstadt (DK) Tausende Deutsche und Türken haben gestern Abend einen friedlichen Fußballabend gefeiert. In vielen Biergärten und Gaststätten liefen Fernseher. Gut 2000 Fans hatten teilweise seit Nachmittag am Rathausplatz gewartet, wo ein massives Aufgebot von Polizei und Ordnern präsent war.

Der zentrale Platz Ingolstadts wurde gestern gleich doppelt gesichert. Während die zahlreichen Ordner kurz nach 15 Uhr mit den Kontrollen begannen, zeigten kurz darauf gut zwei Dutzend Polizisten an einer zweiten, vorgelagerten Sicherheitslinie Präsenz. Kurz nach 20 Uhr war der Rathausplatz abgeriegelt. Auch eine junge Türkin, die eigens aus Gröbenzell angereist war, um mit ihrer Familie zu feiern, wurde nicht eingelassen. Im Rathaus verfolgten OB Alfred Lehmann, Bürgermeister Albert Wittmann sowie mehrere Stadträte und Polizisten das Spiel und das Geschehen auf dem Platz, wo am Abend die Deutschen in der Mehrzahl waren.

Die allerersten Besucher waren Jugendliche, die gleich nach der Schule zum Rathausplatz geeilt waren – acht Stunden vor Anpfiff der Begegnung. Nicht wenige mussten allerdings auf Geheiß der Eltern daheim bleiben. Auch das Wetter war für manche ein Hinderungsgrund – nicht zu unrecht. Am Nachmittag wurden auf dem Platz 34 Grad gemessen, selbst für einen Fußballfan wie FCI-Präsident Werner Roß zu viel: "Da brennt’s Dir ja das Hirn zusammen."

Die hartgesottenen Fans der Partymeile schreckte das jedoch nicht ab. Viele warteten stundenlang. "Kartenspielen und Zeitungslesen", antwortete die knapp 16-jährige Rabea aus Ingolstadt auf die Frage, was sie bis zum Anpfiff machen wolle. Am Nachmittag hielten sich deutsche und türkische Jugendliche in etwa die Waage – klar erkennbar an den Fahnen, die sie sich umgehängt hatten. Beide Gruppen saßen friedlich auf den Bänken, in der Sonne bratend und nach Schatten und Flüssigkeit lechzend.

Auch die Stadträte, die zur Sondersitzung ins Rathaus eilten, wurden streng kontrolliert. Veronika Peters (FW) musste auf Befehl der Ordner sogar ihr Brillenetui öffnen, wie sie später kopfschüttelnd erzählte.



Drei Stunden vor dem Anpfiff war der Rathausplatz mit knapp 4000 Menschen voll. Die meist jugendlichen Besucher feierten zu den Klängen von Fußballliedern und Rockmusik, Hunderte standen auf den Bänken. Die Stimmung war ausgelassen, aber ohne Aggressionen. Das unvermeidliche "We are the Champions" durfte nicht fehlen. Gegenüber Schwarzrotgold waren rote Flaggen mit Halbmond klar in der Minderzahl.

Der erste Jubelschrei ertönte um 20.46 Uhr: In der Bar Centrale ging nach einigem hektischen Gefinger am Kabel der Fernseher wieder; er hatte drei Minuten vor dem Anpfiff den Geist aufgegeben.

Abseits der Fernseher und Leinwände, die vor fast allen Gasthäusern in der Altstadt stationiert waren, stand das Leben still. Die Massen drängten sich wie nie zuvor bei dieser EM vor den Bildschirmen. Meist Deutsche und Türken gemeinsam, was zu dem ungewöhnlichen Phänomen führte, dass immer gejubelt, geplärrt und gezittert wurde, egal, wer den Ball gerade hatte. Vor der Salamander-Passage standen zwei Fernseher – je auf eine türkische und eine Deutsche Flagge gebettet.

Gejubelt wurde auch paritätisch. Als die türkische Mannschaft um 22.30 Uhr das 2:2 erzielte – mal wieder ein später Ausgleich –, tönten die türkischen Fans fast ebenso laut wie zuvor die Deutschen. Bis 22.33 Uhr. Da dröhnte der finale Torschrei orkanartig durch die erhitzte Stadt. Fünf Minuten später wurden die roten Flaggen eingerollt. Auf der anderen Seite konnte die Feier beginnen.