Dachau
Fassungslosigkeit nach Bluttat in Dachau

Auch Justizministerin Merk zeigt sich schockiert über die tödlichen Schüsse auf einen jungen Staatsanwalt

11.01.2012 | Stand 03.12.2020, 1:57 Uhr

Dachau (DK) Schreckliche Bluttat im Dachauer Amtsgericht: Mit drei Schüssen aus einer Pistole hat ein 54-jähriger Transportunternehmer gestern im Gerichtssaal einen 31-jährigen Staatsanwalt getötet. In Dachau herrscht nach der Tat Fassungslosigkeit.

Unmittelbar nach der Tat wird der nicht vorbestrafte und bislang nie gerichtlich in Erscheinung getretene Mann von zwei Zeugen überwältigt und anschließend festgenommen. Der Haftbefehl wird heute verkündet.

Um 14.45 Uhr wird der dritte und entscheidende Tag der Hauptverhandlung gegen den 54-Jährigen eröffnet. Zeugen werden befragt, die Beweisaufnahme anschließend geschlossen. Der 31-jährige Anklagevertreter und die Rechtsanwältin des Fuhrunternehmers haben sich in ihren Plädoyers einander angenähert – um eine milde Strafe bittet die Anwältin, eine Bewährungsstrafe von einem Jahr hat der Staatsanwalt gefordert.

Rund 44.000 Euro hatte der Unternehmer den Sozialkassen vorenthalten, indem er in seiner Firma sogenannte Scheinselbstständige beschäftigt haben soll. In seinem ausführlichen Schlusswort habe der 54-Jährige durchaus sachlich gewirkt, so der Direktor des Amtsgerichtes, Klaus-Jürgen Sonnabend.

Kurz nachdem Richter Lukas Neubeck das Urteil verkündet hat – ein Jahr auf Bewährung –, zieht der Angeklagte aus einer Innentasche seiner Jacke plötzlich eine Pistole. Nicht bestätigten Angaben zufolge scheint er zunächst zweimal auf den Richter geschossen und diesen verfehlt zu haben. Anschließend richtet er seine Waffe auf den Staatsanwalt und drückt weitere drei Mal ab. Alle drei Projektile treffen den 31-jährigen Juristen, der erst seit etwa einem Jahr im Staatsdienst steht.

Zwei Zeugen, darunter ein Zollbeamter, reagieren geistesgegenwärtig, erreichen den Zuschauerraum aber erst nach dem fünften Schuss und drücken den 54-Jährigen zu Boden. Trotz einer Notoperation im Dachauer Krankenhaus stirbt der junge Staatsanwalt gegen 17 Uhr – eine Kugel in den Bauch soll die Todesursache gewesen sein.

„Sie hätten nie geglaubt, dass der Mann zu so etwas fähig ist“, sagt ein Beobachter. „Der war doch ein Schlaganfallpatient, der konnte sich kaum bewegen. Wir hatten das Gefühl, man müsse ihn in den Gerichtssaal tragen.“ Tatsächlich hatte der ledige 54-Jährige wohl nicht nur gesundheitliche, sondern auch finanzielle Probleme – ob darin das Motiv für die tödlichen Schüsse liegen könnte, sollen die Vernehmungen ergeben. Für die Pistole besitzt der Schütze keinen Waffenschein.

Auf einer eilends einberufenen Pressekonferenz in der Dachauer Polizeiinspektion verweist Justizministerin Beate Merk (CSU) darauf, dass „wir unsere 99 Gerichtsgebäude nicht in Trutzburgen verwandeln können“. Eingangskontrollen, Leibesvisitationen und Sicherheitsschleusen seien bei Routineverfahren nicht üblich und auch nach wie vor nicht angebracht. „Jedes Gericht hat sein eigenes Sicherheitskonzept“, sagt die Ministerin, die „fassungslos vor einer schrecklichen und brutalen Tat“ steht.

Fassungslos ist auch die 17-jährige Julia Hoffmann. Die junge Dachauerin hat gerade vom Geschehen erfahren und kann nicht glauben, „dass so was bei uns in Dachau passiert“. Auch Generalstaatsanwalt Christoph Strötz erinnert sich an keinen vergleichbaren Fall. „Wir hatten seinerzeit die Schüsse auf einen Richter in Landshut, aber so etwas . . .“ Nach diesem Vorfall im April 2009, als ein 60-jähriger Sportschütze während der Verhandlung um einen Erbschaftsstreit in Landshut zunächst seine Schwägerin getötet, zwei weitere Menschen schwer verletzt und anschließend sich selbst erschossen hatte, war die Frage nach der Sicherheit an bayerischen Gerichten zuletzt diskutiert worden. „Wir haben dann ein Konzept erarbeitet“, sagte die Ministerin gestern. „Aber absolute Sicherheit kann es nicht geben. Wir haben es heute gesehen.“