Fantasien und Traumbilder

Grafiken von Max Klinger weisen in die Moderne - Ausstellung in der Pinakothek der Moderne

08.03.2020 | Stand 23.09.2023, 11:05 Uhr
Max Klinger: "Eva und die Zukunft". −Foto: Staatliche Graphische Sammlung

München - Erotik und Gewalt-Fantasien, Traumdeutung und Bildergeschichten, Surrealismus und Jenseits-Vorstellungen - all diese Themen spielen eine Rolle in jenen Grafiken, die Max Klinger vor und nach 1900 schuf.

 

Er starb 1920 - sein Todestag jährt sich am 4. Juli zum hundertsten Mal. Dies ist Anlass für die Graphische Sammlung, Radierungen des Künstlers zu zeigen - darunter auch der selten ausgestellte Zyklus "Zelt", an dem Klinger fünf Jahre hindurch gearbeitet hatte. In fünf Räumen der Pinakothek der Moderne entfaltet sich nun ein Kosmos des Fin de siècle in seiner ganzen erzählerischen Breite.

Der 1857 in Leipzig geborene Klinger hat in Karlsruhe und Berlin studiert und wurde bekannt als Bildhauer, Maler und Grafiker. Vor allem in der Druckkunst zeigt sich eine Beeinflussung durch Francisco Goya und Honoré Daumier, deren düstere und gesellschaftskritische Werke er im Louvre gesehen hat. Vor allem aber steht Klinger unter dem Einfluss von Ideen der Psychoanalyse, die seine Zeitgenossen Sigmund Freud, Alfred Adler und Carl Gustav Jung entwickelten und diskutierten.

Vorrangig zeigt sich dies an dem vollständig ausgestellten Zyklus "Zelt" mit seinen 46 Blättern, die von Varianten und Probedrucken ergänzt werden. Darin wird die Seele als junge Frau dargestellt, die in ihrer nackten Schönheit Verführung und Vergewaltigung erleidet, sich auf düsteren Felswegen verirrt, unter ihrer Mitschuld für einen Mord leidet, die aber letztlich doch - begleitet von einem Jüngling - zu höheren Sphären hinaufschwebt. Der Himmel, der anfangs noch von dem Dreigestirn Papst, König und Bischof bevölkert wird, ist am Ende klar und leer. Vielfältig sind die Geschichten, die sich Betrachter dieser Blätter dazu ausdenken sollen - der Künstler wollte ausdrücklich keinen erläuternden Text festlegen, weil er sich nicht als Illustrator sah.

So ist es die Fantasie des Künstlers, die überbordend die kostbaren Japanpapiere füllt. Im Zyklus "Der Handschuh" entwickelt sich eine Geschichte, die mit dem Schrecken über den Verlust eines Damenhandschuhs beginnt und die sich zunehmend surreal entfaltet. Wie in einem Alptraum hängt der Handschuh riesig über Schlafenden oder bildet mit vielen Fingern einen Theatervorhang. Nicht zu Unrecht gilt Klinger als einer der Väter des Surrealismus.

Zuweilen widmete sich der Künstler auch sozialkritischen Themen wie häuslicher Gewalt, Prostitution, revolutionären Massen auf den Straßen. Eros und Tod werden meisterlich verarbeitet in dem Blatt "Philosoph" von 1910, wo eine Schatten-Figur mit ausgestreckter Hand ihr Spiegelbild berührt. Der Zyklus über "Eva und die Zukunft" von 1884 gipfelt in einer makabren Szene, die den Tod zeigt, der die Erde mit Schädeln pflastert. Solche Blätter weisen weit in die Moderne, obwohl die grafische Technik des Künstlers mit ihren engen Schraffuren und nuancierten Hell-Dunkel-Kontrasten altmeisterlich ist. Seine benutzte Radiernadel, mit der er in die beschichtete Metalloberfläche hinein zeichnete und ritzte, wird ebenfalls ausgestellt - ein kleines, fast unscheinbares Arbeitsinstrument für eine im 16. Jahrhundert entstandene Technik, zu deren Meistern auch Albrecht Dürer, Rembrandt und Goya zählten. Klinger gelingt es, diese aufwändige Technik so einzusetzen, dass seine Traumbilder im 20. Jahrhundert auch auf Käthe Kollwitz, Alfred Kubin und Max Ernst ausstrahlten.

DK


Bis zum 10. Mai in der Pinakothek der Moderne, geöffnet täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, Donnerstag bis 20 Uhr.

Annette Krauß