Eichstätt
Faire Beschaffung fest im Blick

Bei einem Workshop informierten sich Vertreter von Stadt, Landkreis, Bistum und KU über faire Beschaffung

12.10.2020 | Stand 02.12.2020, 10:22 Uhr
Mit großem Engagement beim Workshop vergangene Woche dabei: (von links) Oberbürgermeister Josef Grienberger, Landrat Alexander Anetsberger, Stadtwerkechef Wolfgang Brandl, Waltings Bürgermeister Roland Schermer, Andreas Spreng, Abteilungsleiter Zentrale Angelegenheiten Stadt Eichstätt, Bernd Semmler, KU Eichstätt-Ingolstadt, und SKEW-Referentin Iris Degen. −Foto: Kusche

Eichstätt - Seit 2014 setzt Eichstätt als zertifizierte Fairtrade-Stadt auf fairen Handel.

Viel Engagement ist seither im Einzelhandel und in der Gastronomie, in Schulen und Veranstaltungen sichtbar geworden. Weitgehend unberührt von der Fairtrade-Auszeichnung blieb bisher jedoch der Bereich der kommunalen Beschaffung. Ob Dienst- und Schutzbekleidung, Natursteine, IT-Produkte oder Sport- und Spielgeräte - viele Produkte werden unter sehr problematischen, alles andere als "fairen" Bedingungen hergestellt und von Kommunen eingekauft.

Über die Möglichkeiten einer fairen Beschaffung informierte Iris Degen, freiberufliche Referentin der Servicestelle Kommunen in der Einen Welt (SKEW) der Engagement Global gGmbH, in einem halbtägigen Workshop im Alten Stadttheater. Auf Einladung der Stadt Eichstätt und Initiative der Steuerungsgruppe der Fairtrade-Stadt, deren Mitglieder Gerhard Rott und Dagmar Kusche die Veranstaltung 2019 beim Wettbewerb "Hauptstadt des fairen Handels" für die Stadt Eichstätt gewannen, nahmen vergangene Woche knapp 20 hochrangige Vertreter der Stadt Eichstätt, des Landratsamts, der Verwaltungsgemeinschaft Eichstätt, des Bistums, der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt und des Finanzamts teil. Mit dabei waren auch Oberbürgermeister Josef Grienberger, Landrat Alexander Anetsberger und Waltings Bürgermeister Roland Schermer.

Eigentlich sollte die Beachtung von Menschenrechten in Lieferketten und die Durchsetzung angemessener Arbeitsbedingungen in allen Produktionsstufen der Konsumgüter eine Selbstverständlichkeit sein. Doch Arbeitsbekleidung aus Bangladesch, Lebensmittel aus China, Natursteine aus Indien, IT-Produkte mit Tausenden von Einzelteilen aus aller Welt und Sport- und Spielgeräte aus Kinderarbeit in Pakistan - an vielen Stellen der Produktionskette dieser von öffentlichen Institutionen beschafften Gütern kommt es zu massiven Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung. Doch nach welchen Kriterien sollen Kommunen, aber auch Landkreise, Bistümer oder andere öffentliche Einrichtungen einkaufen? Wirtschaftlich soll es sein, aber auch ökologisch und fair? "Faire Beschaffung umfasst den öffentlichen Einkauf beziehungsweise die öffentliche Auftragsvergabe nach sozialen Kriterien, die die Produktions- und Arbeitsbedingungen bei der Herstellung des Auftragsgegenstands betreffen", so definierte Referentin Iris Degen den Teilnehmern den Begriff zunächst einmal. Faire Beschaffung fokussiere daher vor allem die Produktionsbedingungen beschaffter Güter. Sie erinnerte an den Einsturz einer Textilfabrik in Bangladesch 2013, der im Textilbereich zur Gründung des "Runden Tischs Textilien" und zum Ausbau von Fairtrade-Siegeln geführt hatte: "Aber das Thema Ausbeutung und Kinderarbeit oder gar Kinderhandel ist nicht erledigt, nur weil es den fairen Handel und verschiedene Siegel gibt", betonte Degen.

Bei der Umsetzung einer fairen Beschaffungsstrategie müsste daher auf eine Reihe von Kriterien zurückgegriffen werden, die die Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen - Entgeltgleichheit, Versammlungsfreiheit, keine Zwangs- und Kinderarbeit und keine Diskriminierung - in den Blick nehmen. Das sind jedoch nur die Basisnormen; darüber hinaus gibt es natürlich noch eine ganze Liste weiterer Kriterien für die faire Beschaffung von Gütern, wie Mindestnormen für soziale Sicherheit, ärztliche Betreuung und angemessene Arbeitszeiten oder gar Fairhandelskriterien wie Mindestpreise für Rohstoffe, existenzsichernde Löhne, feste Arbeitsverträge oder Prämien für soziale Projekte, erläuterte Degen.

In einer Bestandsaufnahme machte sich die Referentin zunächst einen Eindruck von den Beschaffungsstrukturen der verschiedenen Vertreterinnen und Vertretern: Welche Produkte kaufen Sie in Ihrer Institution bereits fair ein? , so lautete die zentrale Frage an alle Teilnehmer. Zwar konnten viele Vertreter, so Bernhard Semmler von der Katholischen Universität, Landrat Anetsberger, Bistumsvertreterin Lisa Amon und Stadtwerkechef Wolfgang Brandl auf die umfassenden Bemühungen im Bereich einer nachhaltigen Beschaffung verweisen - schließlich ist die Universität EMAS-Plus-zertifiziert und trägt den Titel Fairtrade-Universität -, und auch das Bistum erhielt das EMAS-Zertifikat für Umweltmanagement und Nachhaltigkeitsarbeit. Die Stadtverwaltung Eichstätt, so berichtete OB Grienberger, setze auf faire Geschenkkörbe und faire Produkte bei den Stadtratssitzungen sowie Grabsteine ohne Kinderarbeit. Und Waltings Bürgermeister Roland Schermer, Vorsitzender der Verwaltungsgemeinschaft Eichstätt, kauft Dienst- und Schutzbekleidung für seine Bauhofmitarbeiter in einem Münchner Textilbetrieb, der seit 2016 Mitglied der "Fair Wear Foundation" ist - einer unabhängigen Organisation, die sich für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Textilbereich einsetzt. Einzig Fairtrade-Kaffee ist nicht nur für Chocolatique-Inhaberin und Stadträtin Rebecca Böhm - neben fairem Kakao - selbstverständlich im Angebot, sondern wurde auch von fast allen Institutionen als regelmäßig beschafftes faires Produkt genannt. Doch auf eine explizit faire Beschaffung in den Produktbereichen Dienst- und Schutzbekleidung, Heimtextilien, Catering und Kantinen, Spiel- und Sportwaren, IT-Produkten und Natursteinen hat bislang noch keine der Institutionen umgestellt, so das Ergebnis.

"Es ist also noch viel Luft nach oben", bestätigte Referentin Degen. Gerade im IT-Bereich, bei Textilien, bei Schul- und Vereinssportbällen und der Schulverpflegung könnten Kommunen und Institutionen ganz klare Signale setzen, dass sie auf faire Produkte setzen und dabei viel bewirken, betonte sie nachdrücklich. Sie verwies dabei auf ein aktuelles Beispiel aus Berlin, wo für die täglich rund 30000 Grundschulessen neben den regional beschaffbaren Produkten zukünftig nur noch Reis, Bananen und Ananas aus fairem Handel verwendet werden.

In der anschließend sich entwickelnden Diskussion wurde schnell deutlich: Der Anspruch, fair zu beschaffen, ist kein Kinderspiel, er stellt die öffentliche Verwaltung beim Einkauf vor die gleiche Frage wie den einzelnen Konsumenten im Supermarkt: Wie lässt sich herausfinden, welche Produkte man guten Gewissens kaufen kann? Ein Überblick über zuverlässige Siegel als objektiven Orientierungspunkt für die Auswahl eines Fairtrade-Produktes gab den Teilnehmern erste Eindrücke von die Vielfalt an relevanten Kriterien: "Definieren Sie daher immer vor der Ausschreibung, was Sie in Ihrem Siegel sehen wollen", riet Degen. Hier gebe es große Unterschiede, mit denen sich jeder Einkäufer auseinandersetzen müsste.

Einfacher ist es hingegen für alle Beschaffer in Bezug auf die Rechtsgrundlagen für öffentliche Aufträge. Denn hier kann in Deutschland seit 2016 neben der Wirtschaftlichkeitsprüfung als Vergabekriterium auch der Gedanke der sauberen Produktion und des fairen Handels als Auswahlkriterium mit aufgenommen werden: "Wirtschaftlichkeit im Sinne von preisgünstig gilt nicht mehr als alleiniges Auswahlkriterium", betonte die Expertin, "auch die Qualität, insbesondere ökologische und soziale Aspekte sollen berücksichtigt werden. " Dazu dürften und sollten Gütezeichen angefordert werden.

Wie nun aber lassen sich die bisherigen Beschaffungswege in faire Einkäufe erfolgreich umsetzen? Hier, so resümierte Degen, seien vor allem drei Grundvoraussetzungen wichtig: Der Rückhalt in der jeweiligen Verwaltungsspitze, das Produktwissen in den Fachämtern und das rechtliche Hintergrundwissen für Ausschreibung und Praxiserfahrung. Dass das Interesse und der Wille für eine Umstellung in Richtung faire Beschaffung bei allen Workshop-Teilnehmern groß ist, bewiesen die Vertreter in einem visionären Blick auf das Jahr 2023: "Was würden Sie im Oktober 2023 gerne im EICHSTÄTTER KURIER über das Engagements Eichstätts und der Region zu fairer Beschaffung lesen? ", so fragte Degen schmunzelnd in die Runde. Faire Seniorenversorgung, faire Bauhofbekleidung, faire Sportbälle in Schulen und Vereinen, vielleicht auch eine faire IT-Ausstattung im Landratsamt oder an der Universität - viele interessante Ideen kamen hier bei den Teilnehmern zu Papier.

"Faire Beschaffung ist möglich und umsetzbar", fasste Degen zusammen, "nun muss eine realistische Strategie erarbeitet werden. " Dazu reist die Expertin der Servicestelle für Kommunen der Einen Welt am 21. Oktober noch einmal für einen zweiten Workshop an, in dessen Mittelpunkt die Entwicklung einer Strategie steht, die konkrete Ziele und damit verbundene Maßnahmen zur Umsetzung formulieren und für zukünftiges Engagement als Leitfaden dienen soll.

Die Vertreter machten ihre positive Rückmeldung zur Freude der Referentin mit einem Statement deutlich: "Wir sind am 21. Oktober auf jeden Fall wieder mit dabei! " Der erste große Schritt hin zu einer fairen öffentlichen Beschaffung ist damit getan.

ddk