Garching
Fahrstühle ins Weltall

Visionäre Forscher aus Deutschland und Japan stellen in Garching ihre Prototypen vor

14.09.2016 | Stand 02.12.2020, 19:19 Uhr

Das Team der TU München - hier Juliana Söhnlein und Michael Stark - bei der Testfahrt ihres Mini-Aufzugs über 20 Meter bis an die Kranspitze. Anschließend fand die Wertungsfahrt über 100 Meter bis zum Heliumballon statt. - Foto: Stäbler

Garching (DK) Mit dem Aufzug ins All: Das klingt wie aus einem Jules-Verne-Roman. Doch nicht wenige Forscher sind überzeugt, dass so ein Weltraum-Lift bis Ende des Jahrtausends Realität sein wird. In Garching haben junge Ingenieure nun ihre Prototypen präsentiert.

"Go!", ruft Johannes Ostler, tritt zwei Schritte zurück und blickt gebannt auf den pizzagroßen Kunststoffring, der mittels einer Schiene an einem Seil festgeklemmt ist. Leise hört man einen Elektromotor surren, und im nächsten Moment steigt der Ring, an dem allerlei Elektronik hängt, in die Höhe. Auf dem Gesicht von Ostler breitet sich ein Lächeln aus, während "last minute" - so haben sie den Prototypen getauft - an dem Seil emporklettert. "Wir waren alle extrem erleichtert", wird er später erzählen, nachdem der Mini-Aufzug in kaum einer Minute hundert Meter in die Höhe gefahren ist. Denn wenige Stunden zuvor habe ihr Gerät noch überraschend den Geist aufgegeben, sagt der 22-jährige Student der Luft- und Raumfahrttechnik an der TU München "Wir mussten kurzfristig die Elektronik neu machen."

Johannes Ostler gehört zum sechsköpfigen Team der Studentengruppe WARR, was für "Wissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft für Raketentechnik und Raumfahrt" steht. Als eine von fünf Mannschaften aus Deutschland und Japan nehmen die Münchner heute am "European Space Elevator Challenge" teil, ein Wettbewerb für Weltraum-Aufzüge. Mit dem Lift ins All? Diese Idee mag utopisch klingen, doch die Wissenschaft treibt sie seit Jahrzehnten um.

So sinnierte Konstantin Ziolkowski bereits 1895 über einen gigantischen Turm, in dem Aufzüge bis an den Rand der Erdatmosphäre fahren. Der russische Raumfahrtpionier ließ sich damals vom gerade erbauten Eiffelturm inspirieren. So richtig in Schwung kam die Debatte jedoch erst ab 1957 - dank Juri Arzutanow. Der Russe kam auf die heute noch verbreitete Idee, das Aufzugkabel an einem stationären Satelliten zu befestigen - also in 35 786 Kilometern Höhe, sodass er sich stets über demselben Punkt der Erdoberfläche befindet. Dieses Konzept gilt rein rechnerisch als machbar, hat aber einen Haken: Bis heute gibt es kein geeignetes Material für ein mehrere Zehntausend Kilometer langes Aufzugseil.

Ganz so hoch hinaus geht es bei dem Wettbewerb in München nicht: Hier hängt das Seil wahlweise an einem zwanzig Meter hohen Kran oder an einem Heliumballon in hundert Metern Höhe. Auch die "Climber" genannten Lift-Modelle haben auf den ersten Blick wenig mit einer herkömmlichen Aufzugkabine gemein. Ohnehin lege man hier auf etwas ganz anderes "ert, erklärt Tim Wiese, einer der Organisatoren des Wettbewerbs: "Die Climber müssen energieeffizient sein und sollten möglichst viel Zusatzgewicht tragen können." Genau darin liegt nämlich der große Reiz von Weltraum-Aufzügen: Sie wären wesentlich effizienter und damit günstiger als die aktuelle Raketentechnik. Derzeit koste es rund 10 000 Dollar pro Kilo, wenn man Menschen, Satelliten oder sonstiges Material in den Weltraum befördern wolle, sagt Tim Wiese. Bei der Lift-Lösung hingegen rechnen Forscher mit 500 Dollar pro Kilo; überdies könnte der Aufzug beliebig oft wiederverwendet werden. Das böte auch ganz neue Chancen für den Weltraumtourismus.

All dies hat zur Folge, dass die Forschung sich in jüngster Zeit intensiver mit dem Thema Weltraum-Lift beschäftigt - nicht zuletzt nach der Erfindung von Kohlenstoffnanoröhren im Jahr 1993, die als potenzielles Seilmaterial gelten. Zwar forscht die Nasa nicht selbst an einem Aufzug ins All, doch die Weltraum-Agentur unterstützt Projekte und Wettbewerbe. Und das japanische Bauunternehmen Obayashi hat kürzlich angekündigt, bis 2050 einen Lift von der Erde in den Weltraum zu bauen. "Allerdings halte ich das eher für eine Marketingaktion", sagt Tim Wiese. Er selbst ist 29 und verfolgt seit Jahren, was sich auf dem Gebiet tut. Ob er in seinem Leben noch den ersten Weltraum-Lift erleben wird? "Die Materialwissenschaft schätzt, dass es zwischen 2050 und 2100 ein passendes Seil geben wird", sagt Wiese. "Aber ich denke, dass es vor allem auch eine politische und finanzielle Frage sein wird. Denn das Land oder der Kontinent, das einen solchen Weltraum-Aufzug als Erstes baut, hätte einen enormen Vorteil in der Raumfahrt."