Pfaffenhofen
Evangelikale auf Expansionskurs

Wie die neue "Kirche fürs Ilmtal" in der Region Gläubige gewinnen möchte

14.04.2014 | Stand 02.12.2020, 22:49 Uhr

Die Mitglieder der „Kirche fürs Ilmtal“ bei ihrem ersten Gottesdienst in Pfaffenhofen (rechts). Ihr Pastor Klaus Deckenbach (links) ist für ganz Süddeutschland zuständig. - Foto: oh

Pfaffenhofen (PK) Einigen Passanten in der Pfaffenhofener Innenstadt dürften bereits die großformatigen Werbeträger aufgefallen sein, mit denen die neue Glaubensgemeinschaft „Kirche fürs Ilmtal“ für sich wirbt. Haben die Evangelikalen eine „Marktlücke“ entdeckt

Im vergangenen Jahr sind allein beim Pfaffenhofener Standesamt mehr als 150 Menschen aus der katholischen Kirche ausgetreten. Der evangelischen Kirche kehrten mehr als 50 Gläubige den Rücken. In den Jahren davor sah es nicht viel besser aus. Marketingexperten würden jetzt kühl konstatieren, dass das „Produkt Kirche“ einer kontinuierlich sinkenden Nachfrage unterliegt und von der Einführung eines weiteren Angebots in diesem Segment dringend abzuraten ist.

Stefan Mutter ist dennoch vom Erfolg seines Projekts überzeugt. Der 48-Jährige aus Reichertshausen hat den Job übernommen, die „Kirche fürs Ilmtal“ zwischen Vohburg und Gerolsbach zu etablieren. Mit großen Werbeplakaten wirbt die Glaubensgemeinschaft für sich. Farblich sind sie durchgehend in Blau und Gelb gehalten – „nicht ohne Grund, denn das sind ja auch die Stadtfarben von Pfaffenhofen“, erklärt Stefan Mutter. Um nochmals auf die Marketingbranche zu verweisen: Regional zugeschnittene Angebot können angesichts global positionierter Konkurrenz eine Marktlücke füllen. Die „Kirche fürs Ilmtal“ zählt sich selbst zum evangelikalen Sektor. Evangelikal – das hat in Deutschland nicht den besten Ruf. Evangelikale – nach eigenem Bekunden streng und ausschließlich an der Bibel orientiert, ohne Enzykliken und Hirtenbriefe. Evangelikale – das sind ebenso mitunter Menschen, die Charles Darwin für einen Gesandten Satans und die Evolution für ein Hirngespinst halten. Deutsche Prominente, die sich öffentlich dazu bekennen, gibt es noch nicht. Weltweit der bekannteste Evangelikale dürfte der frühere US-Präsident George W. Bush sein.

Stefan Mutter ficht das wenig an: „In Deutschland hängen Evangelikale in der Regel nicht dem Kreationismus – also der wortwörtlichen Übernahme der Schöpfungsgeschichte – an, dafür sind wir hierzulande viel zu stark wissenschaftlich geprägt.“ Vehement von dieser Lehre distanzieren mag er sich allerdings auch nicht. Für Stefan Mutter, Familienvater und von Beruf Vertriebsmitarbeiter, ist der Sachverhalt „nicht entscheidend“.

Bisher zählt seine Gemeinde zwölf Gläubige. Für einen eigenen hauptberuflichen Geistlichen reicht das noch bei Weitem nicht, zumal sich die „Kirche fürs Ilmtal“ nicht über eine Kirchensteuer, sondern ausschließlich über freiwillige Spenden der Mitglieder finanziert. „Das kann dann prozentual aber schon mal ein wesentlicher höherer Anteil vom Gehalt sein, als man ihn etwa bei der katholischen Kirche zahlt“, verrät Mutter, genaue Summen mag er aber nicht nennen.

Der Pastor der „Kirche fürs Ilmtal“, Klaus Deckenbach, wird, man kann es so nennen, auf der Basis von Jobsharing finanziert. „Wir zahlen zehn Prozent seines Gehalts, dafür erbringt er ein Zehntel seiner Arbeitsleistung hier bei uns im Landkreis“, erklärt Mutter. Ansonsten ist Pastor Deckenbach in ganz Süd- und Südwestdeutschland unterwegs, von Oberbayern über Schwaben bis zum Saarland. Über 400 evangelikale Gemeinden gibt es in Deutschland, die genaue Zahl kennt niemand, denn ihr Zusammenschluss ist wesentlich lockerer als in den streng hierarchischen Amtskirchen.

„Die unüberschaubare Größe und die daraus erwachsende schwierige Transparenz“, mutmaßt Stefan Mutter, das sei „wohl einer der entscheidenden Gründe“, warum jedes Jahr in Deutschland immer weniger Menschen katholisch oder evangelisch sein möchten. Bei den Evangelikalen gilt dagegen die Devise „Downsizing“ – also eine Glaubensgemeinschaft von unten, ohne Hierarchien, dafür mit großem Mitbestimmungsrecht der Gläubigen. Erzbischöfe, Kardinäle, gar ein Papst – „undenkbar“! Dass sich jemand allein wegen der Verschwendungssucht eines Tebartz-van Elst oder der Alkoholfahrt einer Margot Käßmann von seiner Kirche abwendet, mag Stefan Mutter dagegen nicht gelten lassen. „Das sind Verfehlungen einzelner, das darf man nicht pauschalisieren.“

In den evangelikalen Gottesdiensten geht es wesentlich lockerer zu, man kennt das mitunter aus amerikanischen Filmen, es gibt viel mehr Gesang und Musik, Laserstrahlen oder Powerpoint zählen zum Standardrepertoire, „eben mehr so eventmäßig“, wie der Reichertshausener lachend zugibt. Manchmal kommen er und seine Mitstreiter aber auch nur zum Beten in Privatwohnungen zusammen, mitunter wird der Theatersaal gemietet, auch in der „Intakt“-Musikbühne in Pfaffenhofen wurde schon gepredigt.