"Es war eine blanke Betonrinne ohne Bäume vorgesehen"

Gespräch mit dem Historiker Wolf-Heinrich Kulke über den Main-Donau-Kanal

21.07.2017 | Stand 02.12.2020, 17:45 Uhr

Experte für Fragen zum Main-Donau-Kanal: Wolf-Heinrich Kulke.

Riedenburg/Kelheim (DK) Mit der Geschichte des Main-Donau-Kanals beschäftigt sich der Kelheimer Stadtarchivar Wolf-Heinrich Kulke bereits seit seiner Jugend. Der 50-Jährige hat Geschichte, Kunstgeschichte und Archäologie
studiert. Seit fünf Jahren leitet er das Kelheimer Stadtarchiv. Aus Anlass der Eröffnung der Wasserstraße vor 25 Jahren hat der promovierte Historiker seine Forschungen zu dem Thema verstärkt.

Herr Kulke, wie sind Sie auf den Main-Donau- Kanal und dessen Geschichte aufmerksam geworden?

Wolf-Heinrich Kulke: Zwischen 1982 und 1987 haben ein Freund und ich von Ingolstadt aus, wo ich damals gewohnt habe, jährlich eine längere Radtour ins Altmühltal gemacht. Von Beilngries aus radelten wir durch das damals traumhaft schöne Ottmaringer Tal. Doch dann rückten die Bagger an. Die Zerstörung dieser Idylle tat mir so weh, dass ich 30 Jahre nicht mehr hingefahren bin.

Hätte es denn bei der Trassenführung eine Alternative gegeben?

Kulke: Aber ja. Die Planung aus dem Jahr 1920 hätte das Ottmaringer Tal verschont, da wäre der Kanal an Töging vorbeigeführt worden. Ich weiß nicht, warum man das nicht so gemacht hat. In der Planung aus dem Jahr 1938 war für die Trasse dann die Abkürzung durch das Ottmaringer Tal vorgesehen. Wegen des Zweiten Weltkriegs wurde der Plan dann aber erst später verwirklicht. Auch Riedenburg hat sich durch den Bau des Kanals sehr verändert.

Wie sind die damals getroffenen Entscheidungen aus heutiger Sicht zu werten?

Kulke: Wegen des Widerstands der Bürgerinitiativen wurde 1974 der sogenannte Grebe-Plan entwickelt, der vorsah, möglichst viele Altwässer und Teile des Ludwig-Donau-Main-Kanals zu erhalten. In der Planung von 1954 war eigentlich nur eine blanke Betonrinne ohne Bäume vorgesehen – so wie der Kanal heute zwischen Nürnberg und Bamberg aussieht. Der Grebe-Plan hat die RMD AG viel Geld gekostet. Ihm ist der Riedenburger Stadtweiher zu verdanken, obwohl man den auch anlegen musste, um das viele Geschiebe, also von der Schambach mitgeführter Sand und Steine, aufzufangen. Andernfalls hätte man den Kanal ständig ausbaggern müssen. Zudem hätte man in Riedenburg große Teile der Altmühl erhalten können, aber das wollte der Stadtrat nicht.

In den 1970-er Jahren wurde generell Widerstand gegen den Bau des Main- Donau-Kanals laut. Hätte es damals eine realistische Chance gegeben, die Verwirklichung der Wasserstraße noch zu stoppen?

Kulke: Eigentlich nicht. Es gab zwar einen vorübergehenden Baustopp, weil die Bundesregierung nicht mehr zahlen wollte. Aus der Zeit stammt das berühmte Zitat des damaligen Bundesbauministers Volker Hauff, wonach der Main-Donau-Kanal „so ziemlich das dümmste Bauwerk seit dem Turmbau zu Babel“ sei. Die von Hauff favorisierte Bahnstrecke hätte weniger ökologischen Schaden angerichtet als die Wasserstraße.

War das Großprojekt nicht einem Denken geschuldet, das aus dem Jahrhundert zuvor stammte?

Kulke: Ja. In der Gründerzeit um die Jahrhundertwende herrschte ein wahnsinniger Industrie-Boom. Um die damit einhergehenden Transporte zu bewältigen, war der Ludwig-Donau- Main-Kanal viel zu klein. Deshalb begann man 1892 mit der Planung des heutigen Kanals. Wäre nicht der Erste Weltkrieg ausgebrochen, dann hätte man die Wasserstraße wahrscheinlich schon in den 1920er Jahren gebaut.