Paris
Es geht auch ohne Mona Lisa

Im 500. Todesjahr ehrt der Louvre Leonardo da Vinci mit der bislang umfangreichsten Schau seiner Werke

04.11.2019 | Stand 23.09.2023, 9:18 Uhr
Eins der Leonardo-Meisterwerke: die "Heilige Anna selbdritt". −Foto: Ojéda

Paris (DK) Die Mona Lisa muss draußen bleiben.

Wenn Leonardo da Vinci im Louvre 500 Jahre nach seinem Tod so umfassend wie nie gefeiert wird, hat ausgerechnet das Starmodell der Kunstgeschichte keinen Zutritt. Madame darf nämlich nicht von ihrem angestammten, sogar frisch renovierten Platz weichen, andernfalls käme es unter den Paris-Pilgern zu Aufständen. Die wollen mit ihr dringend ein Selfie schießen oder die durch vier Millimeter starkes Glas geschützte Ikone wenigstens aus der Ferne erspähen. Abgesehen davon könnten man ihre durchschnittlich 20000 Besucher am Tag gar nicht erst durch eine Jahrhundertschau schleusen, die jetzt schon in weiten Teilen ausverkauft ist.

Diese Entscheidung des Louvre hat freilich auch im Hinblick auf die Ausstellung selbst Sinn. Und das darf man durchaus im Zusammenhang damit sehen, dass noch andere wichtige Gemälde fehlen wie zum Beispiel die "Verkündigung" aus den Uffizien, die fragile Madonna mit der Nelke aus München, die den jungen fast überambitionierten Maler vorstellt, oder die vielleicht aufregendste aller Leonardo-Frauen: die Dame mit dem Hermelin aus Krakau.

Den Louvre mit der größten Leonardo-Sammlung bringt das zwar nicht in Verlegenheit - man besitzt immerhin Highlights wie die schöne "Ferronnière" (1490-1497), den androgynen "Johannes" (1508-1519) oder die "Felsgrottenmadonna" (1483- 1494). Doch durch die Fehlstellen verlagert sich die Gewichtung von den wenigen hoch gehypten Gemälden hin zu den Zeichnungen und den wissenschaftlichen Codices, mit denen man diesem Homo Universalis immer noch am nächsten kommt. Egal ob Blütenstängel, Steine, wirbelnde Wassermassen oder menschliche Grimassen - all das zeigt, wie der 1452 in der Nähe des toskanischen Vinci geborene Künstler seine unmittelbare Umwelt erkundet, ja sich angeeignet hat. Ständig trug er ein Notizbuch bei sich, um schnell ein besonderes Detail, einen Gedanken, eine Auffälligkeit festzuhalten. Das konnte auch die Leiche des Bernardo di Bandino Baroncelli am Galgen sein. Der Bankier hatte sich 1478 an der so genannten Pazzi-Verschwörung gegen die in Florenz alles beherrschenden Medici beteiligt und musste daraufhin nach Konstantinopel fliehen. Der Sultan ließ ihn ausliefern, und bald hing der Mann im Bargello, dem damaligen Verwaltungs- und Justizpalast.

Mit schnellen, präzisen Strichen hat Leonardo den bereits verwesenden Leichnam so eindringlich wiedergegeben, dass es einem heute noch graust. Und wie so oft schrieb er Kommentare dazu, in diesem Fall über Baroncellis türkische Kleider und übrigens in Spiegelschrift. Auch sie gehörte zu den Marotten dieses hyperaktiven, nie zur Ruhe kommenden Geists. Um Leonardos Konstruktionsskizzen oder Berechnungen zu studieren, bräuchte man allerdings eine Lupe. In der Literatur sind oft genug Details abgebildet; sieht man jetzt eine ganze, mehr als dicht gefüllte Seite etwa aus dem Mailänder Codex Atlanticus mit Erforschungen der Geometrie und der Optik, realisiert man erst, wie komplex dieser Mann gedacht hat und wie intensiv ihm die Ideen durchs Hirn gerauscht sind. Das erklärt, wie ungemein schwer es Leonardo gefallen ist, sich zu konzentrieren und an einer Sache zu bleiben.

Das betrifft auch die Malerei, für die er sich mächtig ins Zeug gelegt hat. Er wollte nun mal der Beste sein, und die Ausführung seiner höchst aufwendigen Kompositionen über Jahre hinweg muss seine Geduld ziemlich strapaziert haben. Einiges brach er ab, und während wir Unvollendetes wie den Heiligen Hieronymus (um 1480) aus den Vatikanischen Museen heute gerade interessant finden, dürfte das seine Auftraggeber eher vor den Kopf gestoßen haben.

Doch solche Werke vermitteln die Arbeitsweise des Künstlers, und das noch vor jeder technischen Durchleuchtung zu den Unterzeichnungen, die selbstredend auch in die Pariser Schau integriert ist. Etwa in Form der Infrarotreflektografie, die genauso von Bildern gezeigt wird, die nicht den Weg nach Paris antreten durften. Insofern hat man nun doch den Überblick über fast alle Gemälde.

Die Ausstellung hat sich nicht von den üblichen Chronologien verabschiedet. Es hat natürlich Sinn, Leonardos Entwicklung von der Lehrzeit bei Andrea del Verrocchio in Florenz über das Engagement am Mailänder Hof der Sforza oder in Rom bis hin zum Lebensabend in Frankreich in eine Folge zu bringen. Zugleich führt die Schau aber auch virtuos vor Augen, dass sich da Vincis Kunst nicht bei jedem Ortswechsel verändert hat. Und in dieser Entwicklung war er so frei wie kein anderer zuvor.

Und: Er wusste, dass die Rätsel der Existenz nicht zu lösen sind. Deshalb muss die Mona Lisa bis in alle Ewigkeit geheimnisvoll lächeln.

Bis 24. Februar täglich außer Dienstag in der Salle Napoléon des Louvre. Karten über www. ticketlouvre. fr und nur mit Zeitfenster - die Besichtigung der Mona Lisa ist inbegriffen.

Christa Sigg