"Er denkt, er ist im Bombentrichter"

19.12.2008 | Stand 03.12.2020, 5:20 Uhr

Im Zentrum für psychische Gesundheit im Klinikum gibt es zwei gerontopsychiatrische Stationen. Ob demente Patienten, die ins Krankenhaus müssen, hier behandelt werden, hängt vom Einzelfall ab. - Foto: oh

Ingolstadt (DK) Etwa 40 Prozent aller Menschen ab 90 leiden an Demenz. Allein in Ingolstadt gibt es laut Winfried Teschauer, Wissenschaftlicher Leiter der Ingenium-Stiftung, etwa 3000 leichte und 1650 schwere Demenzfälle. Ein harmloser Krankenhausaufenthalt kann für die Betroffenen zum Horrortrip werden.

Der demografische Wandel lässt auch die Zahlen der Menschen mit Demenzerkrankungen nach oben schnellen. Denn die Gedächtnisstörung, die vor allem Kurzzeitgedächtnis, Sprache und Motorik beeinträchtigt und deren häufigste Form die Alzheimer-Erkrankung ist, tritt vor allem bei alten Menschen auf. Teschauer schätzt die Zahl der Demenzkranken in der Region Ingolstadt auf rund 13 000. Tendenz steigend.

Dass die Menschen in Deutschland immer älter werden, verdeutlicht auch die Statistik der Behandlungszahlen am Klinikum Ingolstadt. Die Anzahl der Patienten in der Altersgruppe "75 Jahre und älter" hat sich seit 1992 nahezu verdoppelt: von 10,8 auf 20,1 Prozent. Die Folge: Krankenhäuser müssen sich auf die Gegebenheiten einstellen. Dies ist laut Klinikum-Geschäftsführer Heribert Fastenmeier "eine der wichtigsten Herausforderungen, denen sich die Krankenhäuser in Zukunft stellen müssen". Das Klinikum plant, die Altersmedizin in den Mittelpunkt eines gleichnamigen Zentrums zu stellen. Die betroffenen Fachabteilungen – Innere Medizin, Urologie, Gerontopsychiatrie, Orthopädie, Palliativmedizin, Chirurgie und Neurologie – sollen eng zusammenarbeiten.

Im Januar trifft sich Fastenmeier mit Teschauer, dem Wissenschaftlichen Leiter der Ingenium-Stiftung, einer Stiftung für Menschen mit Demenzerkrankung. Zu ihr gehört auch die Alzheimer-Gesellschaft Ingolstadt.

Muss ein dementer Mensch wegen eines normalen Leidens in eine Klinik, landet er nicht selten in der Psychiatrie. Zu seinem eigenen Schutz. Denn ein Demenzkranker ist in einem fremden Umfeld meistens verwirrt. "Er weiß nicht mehr, wo er ist und was er da soll", erklärt Teschauer. "Muss er beispielsweise in einen Kernspintomografen, denkt er vielleicht an einen Bombentrichter". Die Krankenhäuer seien von ihrer gesamten Struktur her und der Ausbildung der Mitarbeiter nicht auf das Thema eingestellt, sagt der Alzheimer-Experte. Mathilde Greil, Vorsitzende der Alzheimer-Gesellschaft, rät: "Muss ein dementer Angehöriger in die Klinik, sollte man versuchen, ein Doppelzimmer zu bekommen und ihn ins Krankenhaus begleiten. Wenn man vom Arzt eine Bestätigung als Begleitperson bekommt, wird das von vielen Kassen bezahlt."

Frieda S. konnte nicht mitkommen, als ihr seit etwa drei Jahren an Demenz erkrankter Ehemann Ernst (84) wegen einer schweren Erkältung ins Klinikum musste. Sie hatte zu Hause gerade einen Wasserrohrbruch. Die 76-Jährige pflegt ihren Mann, ein Architekt, in ihrem Wohnhaus im Ingolstädter Westen.

Als Ernst S. Mitte November von seinem Hausarzt ins Klinikum eingewiesen wurde, sollte er in die Station 66 für Innere Medizin. Doch schon nach kurzer Zeit wurde der Mann in die Station 17 verlegt – eine geschlossene Station für die Geronto-, also Alterspsychiatrie, im Zentrum für psychische Gesundheit. Hier sind Menschen mit fortschreitender Demenz untergebracht. Seine Frau war entsetzt, als sie von ihrer Schwester erfuhr, dass ihr Mann in der, wie sie sagt, "schlimmen" Station sei, in der "oft rumgeschrien" werde. Sie wollte ihn "da rausholen". Nach einer unschönen Szene auf dem Krankenhausgang holte das Klinikum die Polizei. Die Beamten haben die 76-Jährige – sie ist Betreuerin von Ernst S. – aufgefordert, zu gehen. "Sie haben gesagt, sonst tragen sie mich raus."

Laut richterlichem Beschluss musste der Mann in einem "beschützten Bereich" untergebracht werden. "Er war zeitlich und örtlich desorientiert", heißt es in der Anordnung unter anderem. Am Sonntag wurde er dann auf die Station 16, wo die leichteren Demenzfälle sind, gebracht, am Montag schließlich auf die Innere Station 66.

Seine Ehefrau kritisiert vor allem, dass ihr Mann "in die Station mit den schweren Fällen" gekommen sei. Dass er letztlich zu seinem eigenen Schutz in die geschlossene Abteilung verlegt wurde, räumt sie im DK-Gespräch ein. Dr. Reiner Heigl, Oberarzt im Zentrum für psychische Gesundheit, will zum konkreten Fall keine Stellung nehmen. Ob ein dementer Patient verlegt werde, "wird immer im Einzelfall entschieden". Wenn er etwa weglaufgefährdet sei und deshalb in die Gerontopsychiatrie käme, werde auch hier für die Erkrankung, wegen der er ins Krankenhaus gekommen sei, fachlich alles getan.

Negative Erfahrungen hatte auch die Vorsitzende der Alzheimer-Gesellschaft, Mathilde Greil, vor einigen Jahren mit ihrem an Alzheimer erkrankten Mann im Klinikum gemacht. Auch von anderen wisse sie, die dementen Menschen würden oft mit Medikamenten ruhig gestellt. "Wir versuchen grundsätzlich, mit wenig Medikamenten auszukommen", hält Dr. Heigl dagegen. In manchen Situationen sei die Ausgabe von Psychopharmaka aber durchaus hilfreich.