Ingolstadt
"Er bringt die Ängste auf den Punkt"

Donald Berkenhoff hat aus Michel Houellebecqs Roman "Unterwerfung" eine Bühnenfassung für das Stadttheater Ingolstadt gemacht

10.10.2016 | Stand 02.12.2020, 19:12 Uhr

Die Islamisierung des Abendlandes beginnt in Frankreich im Jahr 2022 - zumindest in Michel Houellebecqs Roman "Unterwerfung". Donald Berkenhoff (Mitte, in Schwarz) bringt das Werk mit sieben Schauspielern auf die Bühne des Großen Hauses. Am Freitag ist Premiere. - Foto: Hauser

Ingolstadt (DK) "Unterwerfung" von Michel Houellebecq war der vielleicht meistdiskutierte Roman des vergangenen Jahres. Das Buch entwirft die Vision einer islamischen Republik Frankreich im Jahr 2022 und erschien ausgerechnet am Tag des Anschlags auf "Charlie Hebdo". Chefdramaturg Donald Berkenhoff bringt ihn nun auf die Bühne des Stadttheaters Ingolstadt. Premiere ist am 14. Oktober im Großen Haus.

Herr Berkenhoff, es liegt auf der Hand, den Stoff auf die Bühne zu bringen. Aber warum entscheidet man sich für einen Roman - gibt es keine vergleichbaren Stücke?

Donald Berkenhoff: Doch. Die Stücke gibt es wohl. Aber welcher Autor ist denn so mutig wie Houellebecq? So meistgehasst, weil der die politische Korrektheit einfach verweigert und bereit ist, in jedem aufgestellten Fettnapf ein Vollbad zu nehmen. Brutal, explizit und wahnsinnig komisch. Die Komik ist etwas überlesen worden, denn die Trauer über "Charlie Hebdo" hatte sich über den Text gelegt. Ich hatte von Anfang an die These vertreten, dass es sich um eine Wissenschaftssatire handelt. Als wir einen Ausschnitt bei einer "Literalounge" gelesen haben, wurde sehr viel gelacht. Ein weiterer Grund dafür, diesen Roman als Spielvorlage zu verwenden, ist der offene Prozess. Es gibt keine vom Verlag legitimierte Vorlage, die gespielt werden muss.

 

Das heißt, jedes Theater erstellt eine eigene Fassung . . .

Berkenhoff: . . . was bedeutet, dass sich die einzelnen Inszenierungen sehr unterscheiden werden. Die offene Arbeitsweise kommt mir sehr entgegen. Es ist weit eher eine Projektarbeit denn eine Inszenierung. Und einer Ihrer Kollegen hat als ärgerlichste Erfahrung der letzten Spielzeit Romanadaptionen genannt, bei denen die Inszenierung brav am Text entlangschlittert und nicht die Essenz des Romans entschieden auf die Bühne stellt. Das war mir aus der Seele gesprochen. Wir inszenieren das, was einem beim Lesen durch den Kopf geht. Eine Inszenierung, die die Lektüre ersparen will, möchte ich nicht machen. Auch keinen Digest, das Übliche, Thomas Mann in zwei Stunden. Das ist nicht mein Anliegen. Wir zeigen Science-Fiction, eine Satire, ein blutiges Roadmovie, einen Albtraum, eine Karikatur. Und schon das erste Bild wird die Kenner des Romans verwirren.

 

Was fasziniert Sie an Houellebecqs Roman?

Berkenhoff: Er bringt die Ängste auf den Punkt. Die Ränder der Gesellschaft radikalisieren sich. Rechts ist es nicht mehr nur der Front National, sondern noch viel stärker die Identitären. Auf der anderen Seite stehen die Gläubigen, die den Gottesstaat wollen, die alle Freiheiten der liberalen Gesellschaft abschaffen wollen. Und die liberale Gesellschaft hält zunehmend das Maul. Die Mitte marodiert, die Ränder erstarken. Wir werden zerrieben. Das Abendland, inzwischen ziemlich säkularisiert, hat den Glaubenskämpfen nichts entgegenzusetzen. Und Houellebecq denkt das in aller Konsequenz weiter. Über diesen Roman hat man sich gestritten. Und diesen Streit wollen wir niemand ersparen.

 

Das Deutsche Schauspielhaus in Hamburg hat den Roman bereits auf die Bühne gebracht - mit nur einem Schauspieler: dem unvergleichlichen Edgar Selge. In Ihrer Inszenierung wird es sieben Schauspieler geben. Warum diese sieben, die außer Enrico Spohn als FranÃ.ois vielfältige Rollen spielen?

Berkenhoff: Es geht in diesem Roman um Gruppenprozesse. Eine Gruppe von Unidozenten, die sich eher mit Literatur der Dekadenz beschäftigt als mit Politik, muss sich verhalten. Erst will man die Beteiligung der Muslimbrüder an der Regierung nicht. Dann akzeptiert man. Als die Universität, von Saudi Arabien gesponsert, die Gehälter erhöht und elegante Dienstwohnungen zur Verfügung stellt, wird es schon interessanter. Und als man den neuen Unipräsidenten mit seinen drei ziemlich jungen Ehefrauen sieht, wird die Konversion sogar attraktiv. Das erinnert an Biografien der Nazizeit, von Intendanten, die in linken Kabaretts auftraten und als Generalintendanten faschistischer Staatstheater endeten. Das Buch darüber heißt "Mephisto", und der Roman Houellebecqs hat mich oft daran erinnert.

 

Wie macht man aus einem Roman ein Stück?

Berkenhoff: Ich wollte ja wissen, ob diese Umsetzung funktioniert, bevor der Spielplan bekannt gegeben wird. Ich habe über vier Monate regelmäßig daran gearbeitet, um eine Spielfassung herzustellen. Und es sollte nicht dieser Hamburger Weg sein: Ein Liebling des Hauses erzählt einen Roman. Der Anfang war leicht, es ist vieles in dem Roman dialogisiert. Aber was macht man mit den Gedanken der Figur? Wo und wie kann er sie äußern? Bei mir hat FranÃ.ois einen Therapeuten, mit dem er ab und an spricht. Als alles geschrieben war, wirkte das Manuskript wie Schulfunk. Es hat der Trash gefehlt, der auch Houellebecq ausmacht. Meistens sind es seine pornografischen Sequenzen, die auf der Bühne nicht dargestellt werden können. Man braucht also andere populäre Formate, um den Text auch in diesen Teilen laufen zu lassen. Ich habe mich für Infotainment entschieden. Unsere Wahlsendungen werden Krimis, die politischen Diskussionen Unterhaltungsfernsehen. Vieles wirkt wie schlechter Film und soll auch so aussehen. Und es ist nebenbei der Albtraum eines französischen Schriftstellers.

 

Wo spielt er bei Ihnen? Weiterhin in Frankreich - oder im europäischen Nirgendwo?

Berkenhoff: Ja, in Frankreich. Auch wenn zu Frau LePen manchmal versehentlich Frau Petry gesagt wird. Ähnlichkeiten mit noch lebenden Personen sind durchaus beabsichtigt. Es spielt in einem Europa, das sich neu zusammensetzt. Der Osten ist verloren. Aber Marokko kommt dazu, später Ägypten. Die Blöcke formieren sich neu.

 

Was war die größte Herausforderung?

Berkenhoff: Nicht solide werden. Das Chaos zulassen. Den Bürgerkrieg auf die Bühne bringen. Die Moderne als unzählige Möglichkeiten der Selbstverwirklichung zeigen. Und dann der ästhetische Bruch. Im zweiten Teil erscheint das Morgenland auf der Bühne. Unser Leben wird getaktet, auch durch die Gebete. Die Vielstimmigkeit ist zur Ruhe geworden. Die Vaterfigur sagt, was zu tun ist. Die Frauen unterwerfen sich den Männern. Die Männer unterwerfen sich der Religion. Und die größte Gefahr ist, den Humor der zu Vorlage verfehlen, weil es ja eine tragische Geschichte ist. Wir stellen sehr früh die Frage: Was darf Kunst? Was darf Satire? Am liebsten würde ich den Abend "Charlie Hebdo" widmen und allen anderen, die getötet wurden, weil sie Karikaturen veröffentlicht haben.

 

Die Zukunft des Romans ist nur sechs Jahre entfernt. Wie unterscheidet sich diese Zukunft von der Gegenwart?

Berkenhoff: Das Verlagern in die Zukunft ist nicht mehr als der V-Effekt bei Brecht. Wir machen das Bekannte fremd: in der Kleidung, der Musik, dem Gehabe. Aber immer häufiger ist der Satz zu hören: Eigentlich ist es doch schon so.

 

Wie glauben Sie, wird das Publikum reagieren?

Berkenhoff: Wir wollen nicht die bequeme Fassung eines unbequemen Buches machen. Ich habe meinen Schauspielern gesagt, dass sie, wenn sie Probleme mit dem Stoff und der Umsetzung haben, jederzeit die Produktion verlassen können. Dieses Recht sollten auch die Zuschauer haben. Der Roman hat die Leserschaft gespalten. Mir wäre es recht, wenn diese Aufführung der Grund wäre, zu reden und zu streiten.

 

Die Fragen stellte Anja Witzke.

 

Premiere ist am Freitag, 14. Oktober, um 19.30 Uhr im Großen Haus. Kartentelefon (08 41) 30 54 72 00.