München
"Entspannt euch, Leute!"

Die Natur regelt alles von selbst, sagt Peter Wohlleben Der Förster und Bestsellerautor hätte gerne etwas weniger menschliche Einmischung

08.12.2017 | Stand 02.12.2020, 17:06 Uhr

München (DK) Er ist der Oberförster der Nation, in allen Medien präsent, und die Begeisterung geht noch weiter: Bereits in mehr als 40 Sprachen wurde Peter Wohllebens Bestseller über "Das geheime Leben der Bäume" übersetzt. Jetzt hat der 53-Jährige mit dem "Geheimen Netzwerk der Natur" nachgelegt. Ein Gespräch über Vogelhäuschen und Christbäume, die Rückkehr der Wölfe und den weißen Hai.

Herr Wohlleben, gibt es bei Ihnen einen Christbaum?

Peter Wohlleben: Natürlich! Ich liebe die traditionelle Weihnacht.

 

Kommt Ihr Baum aus dem heimischen Forst in Hümmel?

Wohlleben: Jein. Ich würde das machen, aber es gibt regelmäßig Diskussionen, weil er im Wald schöner ist als nachher im Wohnzimmer.

 

Der nadelt.

Wohlleben: Genau, und dann ist er ein bisschen krummer, es fehlen Ästchen. Ich habe schon mit der Maschine Löcher gebohrt und zusätzliche Ästchen reingesetzt. Das verzeihen mir meine Kinder bis heute nicht.

 

Ist es für Sie als Förster nicht Verschwendung, einen Baum nur für zwei Wochen Weihnachtsatmosphäre zu fällen?

Wohlleben: Überhaupt nicht, zwei Wochen Freude ist doch etwas sehr Schönes. Für mich gehören Weihnachtsbäume inzwischen zur landwirtschaftlichen Kultur. Sie gelten offiziell ja auch nicht als Wald. Und genauso wie wir Gemüse anbauen und essen - da dauert der Genuss oft nur eine halbe Stunde -, lohnt sich der Weihnachtsbaum für uns.

 

Wir können ihn allerdings nicht essen.

Wohlleben: Er wärmt aber das Herz, und ich kann mir ein weihnachtliches Zimmer ohne Baum nicht vorstellen.

 

Wie ist das mit dem Gefühl, das Sie den Bäumen zuschreiben? Tut's weh, wenn sie gefällt werden?

Wohlleben: Es gibt eine Untersuchung der Uni Leipzig, die besagt, dass Bäume merken, ob ein Reh reinbeißt oder ein Zweig abgeknickt wird. Bäume erkennen Rehspeichel und lagern Abwehrstoffe in die Rinde ein. Wenn Sie einen Zweig abschneiden, beginnen sie sofort mit der Wundheilung. Wie sehr ihnen das weh tut, weiß ich natürlich nicht. Und fällen ist sicher eine Nummer härter, als einen Zweig abzumachen. Anderseits schreibe ich Bücher, für die es Holz braucht, und wir sitzen hier an einem Holztisch. Holznutzung ist völlig legitim, ich finde nur, Bäume sollten vor der Abholzung artgerecht behandelt werden.

 

In Ihrem neuen Buch geht es um das geheime Netzwerk der Natur, das ziemlich gut funktioniert. Trotzdem meinen wir, der Natur "Gutes" tun zu müssen.

Wohlleben: Für mich ist es wichtig zu entscheiden, ob wir etwas für uns tun - dann geht das in Ordnung. Wenn wir für die Natur aktiv werden, funktioniert das in den seltensten Fällen. Die Natur schafft es alleine viel besser! Nehmen Sie den Naturpark Bayerischer Wald, wo noch relativ viel rumgesägt wird. Ich sage dann immer, Leute, entspannt euch, Wälder gibt es seit 300 Millionen Jahren, Menschen seit 300.000 Jahren und erst seit 300 Jahren Förster. Die meiste Zeit mussten die Wälder ohne Förster auskommen. Wenn man etwas fürs Holz tun möchte, bin ich jederzeit dabei, aber wenn wir etwas für den Wald tun wollen, ist es das Beste, die Hände in den Hosentaschen zu lassen.

 

Sie schreiben ganz pathetisch, "der Wolf gibt dem Wald seine wilde Seele zurück". Für manche ist das beunruhigend.

Wohlleben: Das kann ich verstehen, seit ich den "Weißen Hai" gesehen habe, bade ich nicht mehr entspannt alleine im Meer. Und über den Wolf werden genauso viele Schauermärchen erzählt. Es gibt Nutzergruppen wie Schafhalter, die muss man natürlich unterstützen. Aber die meisten anderen werden beim Waldspaziergang nie einen Wolf sehen. Versuchen Sie mal, die paar wenigen im Bayerischen Wald zu finden. Das wird Ihnen nicht gelingen, denn Wölfe halten Abstand und haben riesige Territorien.

 

Inwiefern tut der Wolf unseren Wäldern gut?

Wohlleben: Das Ökosystem verändert sich allein durch die Anwesenheit des Wolfs. Wir denken, der Wolf reduziert die Wildbestände, doch das stimmt nicht. Deshalb müssen sich auch Jäger keine Sorgen machen. Aber die Tiere haben Angst vor dem Wolf und stellen sich nicht mehr in die kleinen Baumgruppen, wo ihnen der Überblick fehlt. Also kann der Waldkindergarten ganz in Ruhe wachsen. Die Russen haben ein Sprichwort: Wo der Wolf geht, wächst der Wald.
 

Für Ihr vorletztes Buch über "Das geheime Leben der Bäume" mussten Sie einige Kritik einstecken. Der Vorwurf: Sie würden korrekte Fakten und Mutmaßungen mischen und die Bäume vermenschlichen.

Wohlleben: Inzwischen reagiert die Wissenschaft selbst auf diese Vorwürfe. Etwa der Biologe Pierre Ibisch von der Fachhochschule Eberswalde oder der ehemalige Lübecker Forstdirektor Lutz Fähser. Auf der anderen Seite kann ich das natürlich auch nachvollziehen. Die Bevölkerung ist mittlerweile stärker am Wald interessiert und mischt sich jetzt zunehmend ein. Das ist der konservativen Forstlobby ein Dorn im Auge. Aber diese Angriffe muss man aushalten können. Ich bin ja nicht gegen Holznutzung. Ich möchte nur, dass die Waldprogramme umgesetzt werden. Bayern zum Beispiel hat ein fantastisches Landeswaldprogramm, da ist die Politik sehr weit. Manchmal fehlt vielleicht die Feinjustierung, aber das kann die Bevölkerung selber übernehmen. Die Leute sind ja nicht dumm. Die meisten und selbst die Städter haben ein supergutes Gespür für die Natur.

 

Wie ist das denn jetzt mit den kuschelnden Bäumen, die nicht nur aufs Klo gehen, sondern auch Pickel bekommen, wenn ihnen etwas nicht passt?

Wohlleben: Man kann das alles naturwissenschaftlich ausdrücken, aber selbst in der Zeitschrift "Nature", die nun nicht im Verdacht steht, ein esoterisches Blatt zu sein, war bereits vom "wood wide web" die Rede, also der Informationsweitergabe über Wurzeln und Pilzfäden an andere Bäume. Die Forstwirtschaft sieht Bäume immer als Konkurrenten untereinander, aber warum sollten die sich dann vor Insektenbefall warnen, wenn sie im Nachbarn einen Gegner sehen?

 

Sie favorisieren Buchenwälder.

Wohlleben: Darüber schreibe ich eben viel, weil hier die Buchen-Urwälder zu Hause waren. Ich fahre mit meiner Frau aber oft nach Lappland, wo es wunderschöne Fichtenwälder gibt. Nur sehen die ganz anders aus als unsere Fichtenplantagen, die Maisfeldern in Groß gleichen. Ich muss keinen wissenschaftlichen Bericht lesen, um zu merken, dass die bei uns einfach nicht stimmig sind.

 

Gehen Sie auf die Jagd?

Wohlleben: Nicht mehr, weil ich denke, dass das gar nicht nötig ist. Es wird immer noch viel gefüttert, würde man das reduzieren oder abschaffen, könnte sich das von selbst regeln. Grundsätzlich habe ich nichts gegen Jäger, aber am liebsten mag ich sie auf vier Pfoten.

 

Und wie schaut's mit dem Vogelfutter im Winter aus?

Wohlleben: Früher habe ich das sehr dogmatisch gesehen, weil man ins Ökosystem eingreift und natürlich auch die Artenzusammensetzung verändert. Nun wollte die Familie aber ein Vogelhäuschen, und ich habe irgendwann entdeckt, dass es bei uns sogar Mittelspechte gibt. Ob das Füttern für die Vögel notwendig ist, kann ich nicht beurteilen, aber mittlerweile sage ich, das gibt uns etwas. So wie der Weihnachtsbaum.

 

Das Gespräch führte Christa Sigg.

 

Peter Wohlleben: Das geheime Netzwerk der Natur, Verlag Ludwig, 224 Seiten, 19,99 Euro.

 

 

Zur Person

Peter Wohlleben wurde 1964 in Bonn geboren. Der 53-jährige Förster betreut die Wälder der Eifelgemeinde Hümmel. Dort versucht er, den Weg zurück zu urwaldähnlichen Laubwäldern zu gehen und Ökologie und Ökonomie in Einklang zu bringen.