Ingolstadt
Emotionale Tour de Force

Finale der "Tanztage Ingolstadt" mit den gefeierten imPerfect Dancers aus Italien und "Lady Macbeth" im Kulturzentrum neun

17.03.2019 | Stand 23.09.2023, 6:16 Uhr
Katharina Tank
Eine Szenenfolge von physischer Wucht ist die Choreografie von Walter Matteini und Ina Broeckx nach Shakespeares Tragödie. −Foto: Weinretter

Ingolstadt (DK) Da ist diese Frau.

Sehr groß, sehr schlank, ihr langes blondes Haar umrahmt das hagere Gesicht, von einstiger Schönheit kündend. Die schwarz umrandeten Augen wirken riesig, die Hände leben. Reiben sich hektisch und roh, schweben zitternd, streicheln sanft, krampfen sich in ihren Bauch. Und da ist dieser Mann. Jung, bärtig, das glatte Gesicht von der Harmlosigkeit eines Postbeamten, würde er wie ein tapsiger Bär wirken, wenn - ja, wenn da nicht die blutverschmierten Arme wären, das rot besudelte Hemd. Auch ihr Kleid, ihre Arme sind rot, doch nicht von Purpur. Wer ist das seltsame Paar? Wer der junge Mann im Schottenrock? Wer das Trio mit den schwarz bemalten Gesichtern?

Wir befinden uns im Jenseits, genauer: auf der leeren Bühne der Halle neun. Düster dröhnt und wummert, klagt und flüstert, weht und perlt es aus den Boxen. Nebel wallt; blaues, grünes, goldenes Licht erhellt einen virtuellen Käfig der Erinnerung, in dem das mörderische schottische Königspaar aus William Shakespeares Schauerdrama "Macbeth" festsitzt. "Lady Macbeth" heißt die getanzte Interpretation der imPerfect Dancers Company, mit der diese hier im Rahmen der Tanztage Ingolstadt gastiert. Und so, wie sich die beiden Untoten wieder und wieder an ihren Verbrechen wundreiben, bringt die freie Tanzcomapgnie aus Pisa die viel zu kleine Bühne der Halle neun sichtlich an ihre Grenzen.

Knapp 70 Minuten lang erlebt das Publikum im gut besuchten, aber nicht ausverkauften Saal zeitgenössischen Tanz so nah und körperlich, dass es fast schmerzt. Jedes Atmen, jedes Poltern, jeden Schweißtropfen. So unmittelbar durchleiden auch Macbeth (Sigurd Kirkerud Roness) und seine Lady (Ina Broeckx) die Endlosschleife ihrer Traumata: die schwarz-weiß gewandeten Hexen (Sara Nicastro, Laura Perrot, Tiziano Pilloni) mit ihrer Verheißung künftiger Königswürde; kaltlächelnde Anstifterinnen zu gewaltsamen Spielen. Banquo (Daniel Flores), der Freund, der Kamerad, den Macbeth dann doch ein ums andere Mal wieder ermordet. Das Blut, das sich scheinbar nie wieder abwaschen lässt. Das Paar, einander auf Gedeih und Verderb in Komplizenschaft ausgeliefert. Der unfruchtbare Leib der Frau, vom Ehrgeiz zerfressen.

Wahn, Reue, Entsetzen, Verachtung, Trost, Kampf, Todesnot, Machtlust, Trauer, Verlangen: Das alles verwebt die Choreografie von Walter Matteini und Ina Broeckx zu einer Szenenfolge von physischer Wucht. Die ganze erdverbundene, schwungbetonte, atemrhythmische Wucht des zeitgenössischen Tanzes eben. Da wird gerannt, sich geworfen, gestürzt, getaumelt, gestemmt, geschleppt, gerungen, gerollt, gekrampft, gezittert. Zelebrieren die Hexen mit athletischen Beinah-Spagaten, hohen Développés und gewaltigen Sprüngen ihre Macht. Findet das Paar, finden die Freunde Macbeth und Banquo - Kopf am Bauch, in der Hand des anderen - zu verletzlichen Momenten der Schwäche, Nähe, Vertrautheit. Scheint Macbeth sich von seiner Frau freizutanzen, aus einem Alptraum zu erwachen, ohne doch je entrinnen zu können. Und während er sich ungerührt zwischen die Hexen einreiht, bleibt Lady Macbeth in ihrem Wahn gefangen, allein und erschöpft.

Eindrucksvoll die Präsenz und darstellerische Intensität, mit der Ina Broeckx die Lady gibt, selbst wenn sie mitunter weit aus dem Blickfeld gerückt - noch jenseits der hängenden Boxen - am rechten Bühnenrand agiert. Fast zu viel - weil nahezu pausenlose - Schicksalsschwere bietet dagegen die Musik, eine Collage aus Barockem von Bach, Vivaldi und Alessandro Scarlatti, Minimal Music von Philip Glass und gefühlssatter Filmmusik von Max Richter und Ezio Bosso. Die emotionale Tour de Force auf der Bühne hätte schon gereicht. Sei's drum: Das Publikum ist begeistert und feiert die Tänzer mit viel Applaus.

Und dass die sich anschließend, nahbar an der Rampe sitzend, noch den Fragen des interessierten Publikums stellen und so ernsthaft, charmant und persönlich von ihrer Arbeit berichten, ist wie ein erlösendes Satyrspiel, das den Besucher getröstet ins nächtliche Dunkel der Stadt entlässt.

Katharina Tank