Eigentlich
Emanzipation auf Arabisch

Ensaf Haidar beschreibt ihre Ehe mit dem Blogger Raif Badawi und vieles mehr

20.01.2016 | Stand 02.12.2020, 20:18 Uhr

Eigentlich soll Ensaf Haidars Buch auf das Schicksal ihres Mannes aufmerksam machen: Denn Raif Badawi wurde in Saudi-Arabien zu zehn Jahren Gefängnis und 1000 Peitschenhieben verurteilt, von denen er im Januar 2015 die ersten 50 erdulden musste. Badawi hatte einen Blog betrieben, auf dem sich saudische Bürger frei äußern durften.

Eigentlich. Denn vielmehr gibt das Buch Einblick in die Lebenswelt arabischer Frauen - und beschreibt eine Geschichte der Emanzipation.

Sie erzählt zum Beispiel, dass ein Diplom, das in Saudi-Arabien von einer Frau gemacht wird, automatisch auch dem Ehemann gehört. Oder dass Eltern ihre Kinder wegen Ungehorsams ins Gefängnis bringen können - so geschehen bei Badawi. Er lief als Kind immer wieder weg, weil er von seinem Vater geschlagen wurde. Dieser ließ ihn schließlich verhaften. Allein die Beschreibungen wirken bereits auf den Leser - dabei kommentiert die Autorin vieles zusätzlich. Das ist manchmal zwar witzig, etwa wenn sie ihre Schwägerin ausführlich als Drachen beschreibt, wäre aber oft nicht nötig. Zum Beispiel wenn sie Raifs Vater einen "fürchterlichen Mann" nennt, nachdem sie schon ausführlich erzählt hat, wie er seine Kinder misshandelt.

Die Liebesgeschichte beginnt mit einem ersten, aus Versehen zustandegekommenen Telefonat zwischen Haidar und Badawi. Das Telefonieren zwischen einer Frau und einem Mann ist verboten, Heiraten aus Liebe ist ungewöhnlich, und heimliche Treffen bringen Schande über die Familien. Die Sicht Ensaf Haidars (die, wie es üblich ist, nach der Hochzeit den Namen ihres Vaters behält) auf die Liebe ist als junge Frau naiv. Sie glaubt, die Abbilder, die sie aus Filmen, Büchern und Musik kennt, entsprächen der Wahrheit. So wirkt es kitschig, wenn Haidar ihrem Raif, den sie zum ersten Mal sieht, eine rote Nelke aus dem Fenster zuwirft. Und umso härter trifft sie die Erkenntnis, dass ihr Mann einer anderen Frau Nachrichten schreibt, während sie daheimsitzt und auf die Kinder aufpasst. "Die saudische Frau ist nie Herrin ihrer selbst. Und die Männer, die über sie bestimmen, betrachten sie quasi als ihr Eigentum", schreibt Haidar dazu. Die Autorin macht aber auch eine Entwicklung durch: von der anfänglichen Resignation wegen des ungerechten Systems bis hin zum öffentlichen Anprangern.

Und auch Badawi verändert sich in der Zeit: Er hat neue Freunde, beginnt das gesellschaftliche System und damit auch die eingeschränkten Frauenrechte zu hinterfragen, und gründet in der Zeit vor dem Arabischen Frühling ein Internetforum. Weil er dort über Themen wie lesbische Liebe und Menschenrechte in Saudi-Arabien schreibt, gerät er ins Visier der Religionspolizei - das Organ der Kleriker und Ultrakonservativen. Damit ist sein Schicksal besiegelt. Eine spannende Erzählung, die die politische und private Lage in einem Land beschreibt, in das nur wenige europäische Bürger Einblick haben.

Ensaf Haidar und Andrea C. Hoffmann: Freiheit für Raif Badawi, die Liebe meines Lebens. Bastei Lübbe Verlag, 256 Seiten,19,99 Euro.