Ingolstadt
Einzigartiger Sinnenrausch

Die israelische Klarinettistin Sharon Kam gastierte beim Georgischen Kammerorchester in Ingolstadt

21.10.2016 | Stand 02.12.2020, 19:09 Uhr

Die international gefeierte Klarinettistin Sharon Kam ist als "Artist in Residence" beim Georgischen Kammerorchester. - Foto: Schaffer

Ingolstadt (DK) Ein glückliches Leben sieht anders aus. Der Österreicher Hans Rott starb an Tuberkulose im Alter von 26 Jahren - wobei sein Leben im Irrenhaus endete. Als bekanntestes Werk des Lieblingsschülers von Anton Bruckner darf wohl die Sinfonie in E-Dur gelten, die über 100 Jahre nach Rotts Tod ausgerechnet in den USA uraufgeführt wurde.

Ein Frühwerk von Hans Rott ist die Sinfonie für Streichorchester in As-Dur, wobei das Wort "Frühwerk" angesichts dieses bedauerlich kurzen Lebens eine seltsame Anmutung in sich trägt. Das Georgische Kammerorchester Ingolstadt unter der Leitung von Ruben Gazarian hat es am Donnerstagabend aufgeführt. Gerade der erste Satz erstaunt durch rhythmische Prägnanz, federleichte Celli und Bässe, durch seine transparente, dialogische Anlage und einen unbändigen Vorwärtsdrang.

Leider wird der herrliche Auftakt durch ein im Tempo überdrehtes Grave e largo getrübt. Die kontemplative Anlage der Komposition bleibt so auf der Strecke und wirkt seltsam formelhaft.

Nach dem dynamischen Scherzo betritt Sharon Kam die Bühne des Festsaals. Man kann eine lange Liste von renommierten Künstlern und Orchestern erstellen, mit denen die gebürtige Israelitin Kam gespielt hat. Man kann aber auch sagen, diese Klarinettistin gehört zur Weltspitze oder noch präziser und nicht gewagt: Sie sitzt vergleichsweise einsam auf dem Klarinettenolymp.

Einen Vorgeschmack bieten "Tema con variazioni" für Klarinette und Orchester vom französischen Komponisten und Pianisten Jean FranÃ.aix. Zur Beschreibung dessen, was jetzt durch den Festsaal "fließt", ist ein Blick auf die Körpersprache Sharon Kams hilfreich. In großen, runden Bewegungen führt sie die Klarinette, sie malt Kreise in die Luft, die sich in nahtlosen, wärmenden Tonbögen manifestieren. Man ist geneigt das Wort "materialisieren" zu verwenden, was wiederum zu dem oben erwähnten Bild des Fließens führt. An welchen Stellen die Klarinettistin dabei atmet, bleibt im Dunklen. Hörbar ist es jedenfalls nicht. Andere Variationen erklingen als schelmisch lustvolle wie parodienhafte Kleinodien.

Bravourstück für jeden Klarinettenvirtuosen ist das Konzert für Klarinette und Streichorchester in B-Dur op. 34 von Carl Maria von Weber. Nach dem etwas eitel nach Opernouvertüre klingenden Kopfsatz, was der Komposition, nicht der Aufführung geschuldet ist, entfaltet sich Sharon Kams Virtuosität. Die Fantasia gerät zum Sinnenrausch. Jeder einzelne Ton ist aufs Feinste moduliert, eine Perle, die sich nahtlos mit den folgenden, ebenso perfekten Perlen zu einer köstlichen Kette fügt. Kam dehnt in ihren Phrasierungen das Metrum bis an den Rand des Machbaren. Die Verbindung von Mensch, Instrument und Musik erlebt der Zuhörer in diesem Konzert intensiv. Atem als lebenswichtige Körperfunktion ist hier viel mehr, er erweckt auch die Klarinette und über sie, das Konzert zum Leben. Ein Zusammenhang, den man in dieser eindringlichen Form nur sehr selten erleben darf.

Leider, und das gilt im Übrigen auch für die zuvor gespielte Sinfonie Nr. 10 h-Moll von Felix Mendelssohn Bartholdy, patzt das Orchester mit etlichen Spielfehlern an wirklich überflüssigen, soll heißen eigentlich einfachen Stellen. Dem dank des virtuosen Spiel Sharon Kams rauschhaften Charakter des Konzertabends tut dies freilich keinen Abbruch.