München
Einmal um die Welt gejodelt

Eine Ausstellung in München zeigt: Die alpenländische Kunst kennt keine Grenzen

02.09.2019 | Stand 23.09.2023, 8:24 Uhr
Sabine Busch-Frank
Zwei Kuratoren im Gespräch - während Andreas Koll (links) für die Sommerausstellung zum gesamten Bayernland zuständig ist, erforscht Christoph Wagner das Jodeln. −Foto: Busch-Frank

München (DK) "Warum gerade jodeln?

" - diese Frage an Christoph Wagner (63) zu stellen, der deutlich hörbar dem Schwabenland entstammt, erübrigt sich fast. Man trifft ihn im Münchner Valentin-Karlstadt-Musäum, das derzeit die von ihm zusammengestellte Ausstellung zu dieser Gesangsform zeigt. "Von den Alpen nach Amerika", so lautet ihr Untertitel, was keine reißerische Übertreibung ist: Tatsächlich war das Jodeln im letzten Jahrhundert ein gefragter Exportartikel, und wie immer bei guten Gesprächen kommt der Musikjournalist und Sammler Wagner beim Erzählen schnell vom Speziellen zum Allgemeinen, vom Bekannten zum Überraschenden und zurück.

Das Yodeln oder jodeln leitet sich vom gleichen Wortstamm wie das Jauchzen ab und war mutmaßlich ein früher Vorläufer von Funk, Morsen oder Telefon: Da der Umschlag zwischen Kopf- und Bruststimme lauter und weiter schallt als jeder normale Ruf und nicht mit Tierlauten verwechselt werden konnte, war wohl das Jodeln eine bewährte Kommunikationsform der Alpen. "Und einen psychologischen Moment als Hilfsmittel gegen die menschliche Einsamkeit in der Natur mag es auch gegeben haben", ergänzt Wagner. Er hat kürzlich nach jahrzehntelanger Forschung ein grundlegendes Buch zum musikalischen Phänomen und seiner Verbreitung vorgelegt.

Die Ausstellung am Isartor in München bietet nur einen kleinen Auszug dessen, was er auf rund 300 Buchseiten akribisch zusammengetragen hat. Aber sie bietet auch einen klaren Vorteil gegenüber den gedruckten Seiten: Das Konzept punktet mit aufschlussreichen Hörstationen.

Der Sauerkraut-Jodler des blinden Sängers Riley Puckett, Karl Valentins Volksmusik-Persiflage und Tarzans Juchzer erklingen im Isartor in trautem Verein.

Erstaunlicherweise wurde ursprünglich nicht nur hierzulande gejuchzt, sondern auch bei Naturvölkern zum Beispiel im afrikanischen Regenwald. Aber der Schwerpunkt von Wagners Forschung liegt auf dem nordamerikanischen Kontinent, wohin der alpenländische Jodler ausgewandert ist. Dort gibt es eine besonders reiche Jodeltradition. Als die Natur im 18. Jahrhundert von der gefährlichen Unbekannten zur malerischen Verlockung wurde, als der "Berg rief" und dann bald der Tourist dem Ruf folgte, entdeckten zunächst die Sommerfrischler das Jodeln als Kunst. Wo wenig einträgliche, aber dafür harte Arbeit die einzige Alternative war, bot sich dann für reisende Volksmusiker eine echte Karrierechance. Mit der heimatlichen Gute-Laune-Musik im Gepäck wurden Volksmusikgruppen wie die Familie Rainer aus Fügen im Zillertal europaweit zu Stars in Tracht.

Die zweite Generation des Ensembles wagte dann bereits den großen Sprung über den Teich. Dort gab es ganze Städte, die von emigrierten Deutschsprechenden bevölkert wurden, ihre Traditionen pflegten und neue begründeten. Im Vielvölker-Mix der neuen Welt ging dann die Saat auf: Blues und Jazz, Country und Rock, kaum eine musikalische Richtung zeigte dem Jodeln die kalte Schulter, bis die Jodelmania in den 40er-Jahren, wohl auch als Resonanz auf den von Deutschland ausgehenden zweiten Weltkrieg, wieder ausklang.

Dass der Export aber über Jahrzehnte hin so erfolgreich war, lag zum einen an dem Exotismus der Musik, zum anderen aber an einer pragmatischen Anpassung: Das ursprünglich textlose Jodeln wurde hierfür zum Jodellied erweitert. Die Strophen konnte man nun in allen nur erdenklichen Sprachen singen und der Refrain? Wurde gefühlvoll gejodelt. Wie schon Loriot in seinem Sketch über die Jodelschule befand, hat Jodeln offensichtlich in allen Lebenslagen enormes Potenzial.

Die Ausstellung "Jodelmania" ist noch bis zum 15. Oktober im Musäum am Isartor zu sehen, welches täglich außer mittwochs geöffnet ist. Das sehr umfangreiche und lesenswerte gleichnamige Buch mit vielen Illustrationen ist beim Kunstmann Verlag erschienen und kostet 22 ?. Eine weitere Ausstellung am Isartor ist übrigens auch sehr empfehlenswert, kuratiert von Andreas Koll findet sie auf dem Isartorplatz unter freiem Himmel statt. Unter dem Titel "Bayern - Sehnsucht & Verklärung" umreißt sie die "Marke Bayern" und bietet somit ideale Querbezüge zum Thema des Jodelexports.

Sabine Busch-Frank