Pfaffenhofen
"Eine unglaubliche Erleichterung"

Um die Pflege für ihre Mutter zu organisieren: Luitgard Starzer nahm Dienstbefreiung in Anspruch

22.06.2017 | Stand 02.12.2020, 17:54 Uhr

Foto: DK

Pfaffenhofen (PK) Beruf, Haushalt, Kinderbetreuung und die Pflege eines Angehörigen - meist sind es Frauen, die diese Mehrfachbelastung bewältigen. Viele wissen nicht, dass ihnen eine befristete Dienstbefreiung zusteht. Für Luitgard Starzer war diese Option "eine unglaubliche Erleichterung".

Das Gefühl des Überfordert-Seins kennt die 44-Jährige nur zu gut: "Man will allen Aufgaben gerecht werden und überschreitet dabei die Grenzen der eigenen Leistungsfähigkeit." Die diplomierte Verwaltungswirtin (FH) war im Landratsamt maßgeblich an der Bewerbung für das Qualitätssiegel Bildungsregion in Bayern beteiligt und leitet seit 2013 das Bündnis für Familie. Zudem hat sie zwei Kinder, die noch zur Schule gehen. Das heißt, ihr Alltag ist eigentlich beruflich wie privat "gut gefüllt mit Verpflichtungen". Als die eigene Mutter vor einigen Jahren zum Pflegefall wird, schafft sie es "mit gewaltigem logistischem Aufwand" mithilfe ihrer Geschwister zunächst, eine geregelte Versorgung zu garantieren. Und das, obwohl es für sie, ihre Schwestern und Brüder jeweils zwischen 45 Minuten und über eineinhalb Stunden Anfahrt zum Elternhaus bedeutet. Die Mama leidet an Parkinson und beginnender Demenz - offizielle Einordnung: Pflegestufe II. Morgens und abends kommt der Pflegedienst, aber das reicht nicht aus. "In der übrigen Zeit haben wir sie und unseren zwar rüstigen aber psychisch von der Situation völlig überforderten Papa als Familie versorgt", erzählt Starzer.

Die mühsam aufrecht erhaltene Routine wechselnder "Schichten" in der Betreuung gerät an einem heißen Sommertag im August 2015 ins Wanken. An ihrem ersten Urlaubstag fährt die Pfaffenhofenerin in den Bayrischen Wald, wo sie ihre Mutter in einem erschreckenden Zustand antrifft: "Sie saß bewegungslos im Sessel, schaute starr durch mich durch und war nicht ansprechbar." Der herbeigerufene Hausarzt veranlasst die Einweisung in ein Krankenhaus, wo man akuten Flüssigkeitsmangel diagnostiziert. Die Seniorin hatte trotz der höllischen Hitze das Trinken vergessen.

"Wenn die Mama in so einem Zustand ist, kann ich nicht in den Urlaub fahren", ist Starzers erster Gedanke. Dabei waren die zehn Tage Erholung mit ihrem Mann und den beiden damals zwölf und neun Jahre alten Kindern schon lange geplant. Und eigentlich bitter nötig. "Ich war ausgepowert, denn neben der normalen Arbeit und dem Haushalt war ich schon im ganzen laufenden Jahr regelmäßig einmal die Woche an meinem freien Tag zu meinen Eltern gefahren, um sie zu versorgen."

Die Geschwister überreden sie, doch nach Kroatien zu fahren. Aber "ich war mit den Gedanken immer zu Hause, kam nicht zur Ruhe", erinnert sich die besorgte Tochter. Wie sie aus den Erzählungen der Geschwister erfährt, versuchen diese zu jeder Essenzeit im Krankenhaus zu sein. "Es ist mir erst da richtig bewusst geworden, dass Kliniken in keiner Weise auf Pflegefälle dieser Art eingerichtet sind", räumt die Beamtin ein. Im Klartext bedeutet das für die Familie: Dreimal täglich muss jemand in der Klinik sein, zugleich brauchte es jemanden, der sich vor um den psychisch stark angeschlagenen Vater kümmert. "Das war eine unglaubliche Kraftanstrengung, das alles zu regeln", bekennt Starzer.

Doch es sollte noch komplizierter werden. Als die Entlassung aus der Klinik ansteht, stellt sich heraus: Die Mutter kann nicht mehr laufen, ist nun endgültig bettlägerig. Das Urteil der Ärzte: "Sie muss in ein Pflegeheim, kann nicht mehr zu Hause versorgt werden." Für die Familie ist klar: Eine Dauerlösung kann das nicht sein.

Doch häusliche Pflege setzte eine geschulte Kraft voraus, die rund um die Uhr zur Verfügung stand. "Die Suche gestaltete sich als Odyssee", erzählt Starzer, die von vielen unseriösen Anbietern zu berichten weiß. Von Frauen, die keine fünf Worte deutsch sprechen und von Pflege "keine Ahnung" haben, aber als "Fachkräfte" angekündigt werden. Erst im dritten Anlauf findet sich eine Seniorin, die sich rührend kümmert, allerdings selber "nicht mehr so rüstig ist", sodass weiterhin immer eines der Geschwister mithelfen muss.

Während der "sehr belastenden Phase der Suche" fällt Starzer ein Artikel ein, den sie mal gelesen hat: Demnach stehen einem Arbeitnehmer im Notfall zehn Tage Beurlaubung für die Organisation der Pflege eines nahen Angehörigen zu. Sie fragt bei ihrem Arbeitgeber, dem Landratsamt nach. "Ich war die Erste, die einen solchen Antrag gestellt hat", so die Beamtin, deren Gesuch bewilligt wird. Sechs Tage nimmt sie in Anspruch. "Das war eine Riesenerleichterung", bekennt die Tochter, froh der Mutter das Pflegeheim am Ende erspart zu haben. "Ihr dankbarer Blick, als sie wieder zu Hause war, war alle Mühe wert", sagt Starzer, der es wichtig ist, noch eines zu betonen: Ihre inzwischen verstorbene Mutter hatte eine Patientenverfügung verfasst, als sie noch geistig völlig klar war. "Das hat uns für manche schwerwiegende Entscheidung den Weg gewiesen", sagt sie. Dazu gehörte der Verzicht auf künstliche Ernährung, als es zu Ende ging. Kein leichter Entschluss für die Angehörigen. Aber manchmal ist eben gerade das Gehen-Lassen ein Akt der Liebe.

 

Am Beispiel konkreter Fälle beleuchtet der Pfaffenhofener Kurier in einer kleinen Artikelreihe die Herausforderungen, vor denen Betroffene bei der häuslichen Pflege von Angehörigen stehen, und gibt in Anlehnung an die neue Pflegebroschüre des Bündnis für Familie Tipps und Informationen, die Erleichterung schaffen können.