Ingolstadt
Eine kleine Geschichte des Arbeitskampfs

IG Metall erinnerte bei der Ehrung langjähriger Mitglieder an ihre Erfolge und eine böse Niederlage

12.10.2014 | Stand 02.12.2020, 22:08 Uhr

 

Ingolstadt (DK) Die IG Metall Ingolstadt hat am Samstag im Theaterfestsaal 1356 Jubilare geehrt, darunter auch viele Mitglieder, die schon seit 60 oder 65 Jahren dabei sind. Die Feier stand ganz im Zeichen der Geschichte. Ehrengast Werner Neugebauer erinnerte an die Kämpfe und Erfolge der Vergangenheit.

Schlimme Zeiten. Die, die dabei waren, haben es nie vergessen. Beide Seiten führten den Kampf unerbittlich. Beschimpfungen, Drohungen, Prügeleien, bis die Polizei kam und auf die Arbeiter losging. Sechs Wochen Streik, Angst, dann Massenkündigungen und Haftstrafen. Hunderte Kollegen mussten Bayern verlassen, weil sie dort keine Stelle mehr bekamen, dutzende wurden wegen Landfriedensbruchs oder Körperverletzung verurteilt. Das Drama endete mit einer Niederlage für die IG Metall: nur ein paar Pfennig mehr in der Stunde, das war alles. Das Trauma der bayerischen Metaller ist fest mit einer Zahl verbunden: 1954. Das Jahr des großen Arbeitskampfes.

Werner Neugebauer, langjähriger Bezirksleiter der IG Metall in Bayern, war damals zwar erst vier, aber die Folgen der Auseinandersetzung haben ihn in seinem Berufsleben noch jahrzehntelang beschäftigt, „weil die Wunden, die 1954 geschlagen wurden, nur ganz, ganz langsam verheilt sind“. Die IG Metall habe damals die richtigen Schlüsse gezogen, auch aus den eigenen Fehlern, die der Festredner nicht aussparte. Und so markiert das Jahr 1954 gleichwohl den Beginn der Erfolgsgeschichte der IG Metall.

Die 1950er, das war jene Zeit, als sein Vater, ein Metallfacharbeiter, am Samstag um 16 Uhr nach einer 48-Stunden-Woche heimkam, erzählte Neugebauer. Stundenlohn: eine Mark und 17 Pfennige. Es gelang den Gewerkschaften Schritt für Schritt, die Arbeitsbedingungen und das Einkommen zu verbessern. Neugebauer zählte die Errungenschaften gerne auf: die Vereinheitlichung der Tarifverträge, die 40-Stunden-Woche, die Lohnfortzahlung bei Krankheit, 30 Tage Urlaub ab 1980, dann die 35-Stunden-Woche – so ging die Reihe weiter.

Die hohe Schule der Arbeitnehmervertretung erfordert indes Verhandlungsgeschick und kalkulierte Zurückhaltung. Das musste Neugebauer als junger, stürmischer Gewerkschafter erst lernen, wie er erzählte. Als er einmal voller Inbrunst zum Arbeitskampf drängte, sprachen die Älteren zu ihm: „Neugebauer, halt die Schnauze! Wir haben ’54 erlebt, das brauchen wir nicht noch einmal.“

Der ehemalige IG-Metall-Chef richtete den Blick auch auf die Gegenwart: Ihn treiben Sorgen wegen der drohenden Altersarmut vieler Kollegen um, sagte er. Auch die dramatische Jugendarbeitslosigkeit in Europa – 21 Millionen junge Leute sind betroffen – belaste ihn. „Wer ein friedfertiges Europa will, muss verstehen, dass die jungen Leute unser wertvollstes Kapital sind – und nicht die Banken.“

Johann Horn, der Erste Bevollmächtigte der IG Metall Ingolstadt, nahm ein anderes Jubiläum zum Anlass für kritische Worte: „Dass 25 Jahre nach dem Fall der Mauer heute noch neoliberale Ökonomen die Entgeltunterschiede in Ost und West festschreiben wollen, ist nicht nur unanständig, sondern ein Skandal!“ Dagegen müssten die Gewerkschaften kämpfen.

Der IG Metall Ingolstadt fehlt es dabei sicher nicht an Selbstbewusstsein: Die Verwaltungsstelle ist mit 47 000 Mitgliedern die größte Bayerns sowie – nach Wolfsburg und Stuttgart – die Nummer drei in Deutschland. Horn dankte den Jubilaren für ihre Treue: „Ihr habt gemeinsam gestritten für menschenwürdige Arbeit, für Teilhabe an den wirtschaftlichen Erfolgen und für ein Stück Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft!“

Im Unterhaltungsteil ging die Zeitreise weiter. Die IG Metall präsentierte selbst produzierte Fernsehnachrichten mit Originalaufnahmen aus den Jahren, in denen die jetzt geehrten Jubilare in die Gewerkschaft eingetreten sind. Am Anfang stand das schicksalhafte 1954. Weil es danach bergauf gegangen ist, sang die IG-Metall-Band Stegreif: „60 Jahre Mitgliedschaft – schön war die Zeit!“