Ingolstadt
Eine Frage des Verständnisses

Wie sollen Einwanderer mit ihren Kindern reden? In der Sprache, die sie am besten beherrschen, raten zwei Lehrerinnen

08.12.2014 | Stand 02.12.2020, 21:53 Uhr

Eine internationale Familie: Marianna Kenyeres (M.) spricht mit ihren drei Kindern – hier der 13-jährige David und die 15-jährige Reka – stets ungarisch und ihr Mann deutsch. Um eine Fremdsprache zu lernen sei es wichtig, die Muttersprache zu beherrschen, erklärt die Lehrerin. - Foto: Rössle

Ingolstadt (DK) CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer hat einiges zu erklären. Sein Vorstoß, Einwanderer (wie auch immer) „dazu anzuhalten“, in der Familie deutsch zu sprechen, stößt auf Kritik. Zwei Lehrerinnen betonen: Kinder müssen erst ihre Muttersprache beherrschen, um gutes Deutsch zu lernen.

Vielleicht hilft es, sich einmal in die Lage von Einwanderern zu versetzen, um das Problem in seiner gesamten Dimension zu begreifen und so zu erkennen, wie verzwickt die Sache ist. Christina Hofmann, Lehrerin an einer Mittelschule, hat sich darüber ihre Gedanken gemacht: „Man stelle sich vor, ein deutscher Audi-Ingenieur geht mit seiner Familie nach Mexiko und wird dort von Politikern dazu angehalten, dass zu Hause alle spanisch sprechen sollen.“ Sehr schwierig. „Denn die Muttersprache hat viel mit Kultur und der eigenen Identität zu tun.“ Wer wolle schon ausblenden, wo er herkommt, was ihn geprägt hat, und welche Gefühle ihn mit der Heimat verbinden?

Der Vergleich zeige, „vor welchen Herausforderungen Migranten bei uns stehen“, erklärt Hofmann. Die 35-Jährige gehört der CSU-Stadtratsfraktion an, bewertet das Thema aber aus der Sicht einer Lehrerin. In der Debatte über die Deutschförderung für Kinder aus Migrantenfamilien rät sie zu Gelassenheit. Sie wisse aus zwölfjähriger Berufserfahrung, dass sich die meisten Sprachprobleme lösen lassen, sofern man zwei Grundsätze beachte, die sich nicht widersprechen: „Je besser Kinder Deutsch können, desto leichter tun sie sich in der Schule und im Berufsleben. Gutes Deutsch ist der Schlüssel zur Integration – und zum Erfolg.“ Aber: Zuerst müssten die Kinder ihre Muttersprache so gut wie möglich beherrschen. Das sei die Basis dafür, eine Fremdsprache zu lernen. „Ich brauche ein System, auf dem ich aufbauen kann“, erklärt Hofmann. „Wenn die Bezugssprache fehlt, wird es problematisch, weil sich die Kinder dann deutsche Begriffe nicht vorstellen können.“

Die Lehrerin macht sich keine Sorgen: „Die allermeisten Eltern erkennen, wie wichtig es ist, gut Deutsch zu können, und dass es ihre Kinder zum Erfolg führt. Das Bewusstsein ist stark ausgeprägt.“ Eines dürfe man auch nicht übersehen, merkt Christina Hofmann an: „Das große Engagement der Lehrer.“

Eine Lehrerin, die Deutsch als Fremdsprache gelernt hat, ist Marianna Kenyeres aus Ungarn. Sie lebt und arbeitet seit 16 Jahren in Deutschland, außerdem engagiert sie sich ehrenamtlich für Migranten. Auch für sie steht fest: „Eltern müssen mit ihren Kindern die Sprache sprechen, die sie am besten beherrschen.“ Das bestätige die Wissenschaft schon seit Jahrzehnten. Vermitteln die Eltern mangelhaftes Deutsch, „wird es für die Kinder richtig schwierig“, sagt Marianna Kenyeres. Sie erklärt den Grund: „Man muss ein Sprachsystem als Ganzes beherrschen, damit abstraktes Denken möglich wird.“ Das sei die entscheidende Grundlage dafür, sich eine Fremdsprache anzueignen. Als Sprachlehrerin und zertifizierte interkulturelle Trainerin weiß sie aus Erfahrung: „Kinder lernen viel schneller Deutsch, wenn sie die kognitiven Fähigkeiten, die sie mit ihrer Muttersprache erworben haben, auf die fremde Sprache übertragen, denn Sprechen und Denken hängen eng zusammen.“ Das zu beachten, „ist wichtig für die gesunde Entwicklung des Kindes“.

Bei aller unbestrittenen Notwendigkeit, in Deutschland gutes Deutsch zu beherrschen, sollte man, „jeder Sprache mit dem selben Respekt begegnen“, findet Marianna Kenyeres. Zudem sei die Muttersprache „eine Quelle enormer Kreativität“ und von hoher emotionaler Bedeutung. „Schimpfen, loben, Nähe und Wärme vermitteln – das ist in einer Fremdsprache einfach nicht das Gleiche wie in der Muttersprache.“

Die Schanzerin aus Ungarn versteht nicht, „warum die CSU offenbar Angst vor Vielfalt hat“. Die Wirtschaft habe schon erkannt, wie sinnvoll es sei „die Diversität des Denkens“ zu fördern. „Es wäre schön, wenn das auch im Bildungssystem anerkannt wird – und bei der CSU.“