Ingolstadt
Ein schleichender Prozess

Die Versuchung nach unerlaubten Mitteln steigt mit den Erfolgen – auch im Amateurbereich

19.07.2013 | Stand 02.12.2020, 23:53 Uhr

Ingolstadt (DK) Der Dopingskandal um den US-Amerikaner Tyson Gay und die jamaikanischen Sprinter wühlte Anfang der Woche die Leichtathletik-Szene auf. 25 Jahre nach dem positiven Befund Ben Johnsons fügte Gay ein weiteres dunkles Kapitel der Dopingakte zu. Der zweitschnellste Sprinter der Geschichte (9,69 Sekunden) gestand in einer Telefonkonferenz, dass er bei einer Trainingskontrolle positiv getestet worden sei.

Karl Eberle, Leichtathletik-Abteilungsleiter beim MTV Ingolstadt, sieht den Skandal mit einem weinenden und einem lachenden Auge. „Man fühlt sich in gewisser Weise vor den Kopf gestoßen“, sagt er, „ist aber gleichzeitig froh, dass vor großen Namen inzwischen nicht mehr Halt gemacht wird.“ Dem Amateurbereich – an diesem Wochenende richtet der MTV Ingolstadt im heimischen Stadion die bayerischen Meisterschaften der Junioren und Jugend aus – schaden solche Schlagzeilen aber gleichwohl. „Wir haben in der Leichtathletik immer ein Problem der Glaubwürdigkeit“, sagt der Ingolstädter. Daran können seiner Meinung nach auch die im Vergleich zu anderen Sportarten überproportional vielen Dopingkontrollen nichts ändern. Vor allem wenn immer wieder schwarze Schafe auftauchen – und die gibt es laut Eberle auch im Amateurbereich.

„Vor allem in den Kraftsportarten, in Sportarten ohne großen technischen Aufwand, scheint es große Probleme zu geben“, sagt er. Das Problem: Kontrollen bei Amateuren sind sehr selten, Studien meist mit Vorsicht zu genießen. So veröffentlichte das Bundesgesundheitsministerium vor zwei Jahren die sogenannte Kolibri-Studie (Konsum leistungsbeeinflussender Mittel in Alltag und Freizeit) und stellte dabei voreilig fest: Weniger als ein Prozent der Deutschen haben schon einmal gedopt. Befragt wurden 6000 Menschen – anonym versteht sich. Der Sportsoziologe Mischa Kläber (TU Darmstadt) kritisierte schon damals die Erhebung. „Kolibri war methodisch schlecht gemacht“, sagte er. Perikles Simon (Universität Mainz) distanzierte sich ebenfalls von der Untersuchung. Stattdessen äußerte der Sportmediziner vor wenigen Tagen gegenüber der „Berliner Morgenpost“ Befürchtungen, wonach bereits im Nachwuchsbereich systematisch mit unerlaubten Mitteln nachgeholfen wird. „Ich sehe als Sportmediziner bei mir in der Ambulanz Nachwuchsathleten und ich kann mir ausmalen, wie viele von denen später an der Nadel hängen – die im Prinzip Drogen nehmen wie ein Junkie am Bahnhof“, sagte Simon. Entgegen der Kolibri-Studie stellte der Dopingexperte fest, dass sieben Prozent der durchschnittlich 16-Jährigen angaben, Dopingmittel zu nehmen. „Und da reagiert in Deutschland aus dem Sportbereich niemand darauf“, kritisierte er.

Doch wo fängt Doping eigentlich an? Machen Hobbyläufer bereits etwas Unerlaubtes, wenn sie vor einem Marathon eine Schmerztablette gegen die Kniebeschwerden schlucken? Nein. Zumindest stehen Medikamente wie Ibuprofen oder Diclofenac nicht auf der Dopingliste der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada). Die internationale Organisation definiert Doping grundsätzlich als Einnahme unerlaubter Substanzen oder die Nutzung unerlaubter Methoden zur Steigerung der Leistung.

Für Kläber ist eine Dopingkarriere ein schleichender Prozess. Wer anfängt Sport zu treiben, erlebt schnell Erfolge. Je fitter er wird, desto mehr muss er trainieren, um sich weiter zu steigern. Der Athlet achtet auf seine Ernährung, beginnt Ergänzungsmittel zu schlucken. Damit wächst dann die Versuchung.

Eines ist jedenfalls klar – Doping ist in der Gesellschaft angekommen. Während in den 1990er Jahren vor allem Bodybuilder im Ruf standen, sich bereits zum Frühstück einen Cocktail aus bunten Pillen einzuverleiben, zählt Doping inzwischen zum guten Ton. Die Gesellschaft lechzt nach Höchstleistungen, das olympische Motto „Höher, schneller, weiter“ ist oftmals nicht mehr gut genug. „Die Erfolge geben einem immer mehr Bestätigung, sie sind nicht nur sonntags auf dem Fußballplatz sichtbar – sondern immer“, sagt Kläber.

Der Ingolstädter Kardiologe Bernhard Kehrwald macht den Trend hin zu einer gedopten Gesellschaft in der Aufklärung der Bevölkerung und der einfachen Beschaffung von Medikamenten aus. Und einen Tipp hat der Mediziner auch auf Lager. „Wer Zeit hat und sich verbessern will, sollte für ein paar Wochen in die Berge fahren. Beim Höhentraining werden nämlich die roten Blutzellen vermehrt und die Sauerstofftransportkapazität erhöht. Damit steigt die Belastbarkeit des Athleten deutlich“, empfiehlt er.