Ingolstadt
Ein Satiriker geht in die Politik

Jens Neutag bei den Ingolstädter Kabaretttagen

12.02.2019 | Stand 23.09.2023, 5:56 Uhr
Einer der Großen des Politkabaretts: Jens Neutag war mit dem Programm "Volldampf - Kabarett zur rechten Zeit" in der Neuen Welt. −Foto: Leitner

Ingolstadt (DK) "Wenn Trump, Erdogan und all die unzähligen hirnlosen Rechtspopulisten in Europa mit Realsatire dem Kabarett das Wasser abgraben, dann holt Jens Neutag zum ultimativen Gegenschlag aus", heißt es im Programmheft zu den Ingolstädter Kabaretttagen. Und genau das tut er unter der zweideutigen Überschrift "Volldampf - Kabarett zur rechten Zeit" in der Neuen Welt. Er dreht den Spieß um und geht selber in die Politik, tritt bei der Oberbürgermeisterwahl an und wird gewählt.

Das ist schon von der Idee her überaus originell und ergibt zudem eine reizvolle Rahmenhandlung zwischen Kandidatenkür und gewohnt sinnfreiem Politikerstatement am Wahlabend fünf Minuten nach der ersten Hochrechnung. Und bietet genügend Platz für messerscharfe Analyse, beißende Satire und schließlich eine wortgewaltige Generalabrechnung mit dem Gesindel am rechten Rand, ganz egal, ob das nun hirnvernagelt im Bundestag sitzt oder dauerbenebelt im Plattenbau.

Die Höhepunkte des Programms sind eindeutig die drei großen Monologe, die sich direkt an die Politik, den neugewählten Bürgermeister und das Wahlvolk richten. Als Hochseekapitän verkleidet, erinnert Neutag zwar - mit auf dem Rücken wie festgewachsen wirkenden linken Arm - ziemlich stark an Georg Schramms "Lothar Dombrowski" und als weiser Alter im Heim an dessen "August", aber das macht nichts, denn wenn er zu einer seiner Tiraden gegen Rechts ansetzt, ist er ganz er selbst, seine Wut tritt offen zu Tage. "Handelt endlich! Sonst werdet ihr vorgeführt!", ruft er der seriösen Politik - so es die überhaupt noch gibt - zu. "Empört euch endlich!" Diese Aufforderung gilt der Wählerschaft. Und wie Schramm benutzt auch er die Geschichte als Mittel zur Beweisführung. "Wer sich nicht an die Vergangenheit erinnern kann, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen."

Natürlich beherrscht Neutag als Kabarettist sein Handwerk im Schlaf. Das aktuelle ist sein siebtes Soloprogramm. Der rote Faden, die Dynamik, der Sprachwitz, die satirische Schärfe, die Souveränität und nicht zuletzt die Eindringlichkeit, mit der er sein Anliegen vertritt, kennzeichnen einen der mittlerweile ganz Großen des deutschen Politkabaretts. Und angesichts des braunen Gesocks, das da allenthalben rotzfrech aus den Löchern kriecht, hat er sogar einen Tipp parat. "Wie wär's, wenn wir mal ausnahmsweise nicht aus Gründen der Bequemlichkeit das Denken einstellen und stattdessen die Dinge hinterfragen würden?" Keine schlechte Idee.

Einer wie Neutag als Bürgermeisterkandidat? Allein die Vorstellung hat einen gewissen Reiz. Aber Chancen in der Realität hätte er wohl keine. Diesem Programm nach zu urteilen fehlt ihm dafür die nötige stromlinienförmige Verschlagenheit.

 

Karl Leitner