Ein Putsch wie bestellt

Kommentar

17.07.2016 | Stand 02.12.2020, 19:32 Uhr

War das, was in der Nacht zum Samstag in der Türkei ablief, wirklich ein Putschversuch oder nur eine absurde Inszenierung? Die Rundfunkdurchsage eines obskuren Komitees, Panzer auf den Straßen und Flugzeuge im Tiefflug, viel mehr brachten die Militärs nicht zustande.

Im Gegenzug liefert das Fernsehen live Bilder aus den Straßen Ankaras und Istanbuls. Dort erklettern Zivilisten Panzer, und Menschenmassen ignorieren die Ausgangssperre, um gegen die Putschisten zu demonstrieren - genau so, wie es der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan fordert - von einem "sicheren Ort" aus.

Und schon am nächsten Vormittag ist der Spuk vorbei. 3000 Militärangehörige sind festgenommen und auf einen Schlag mehr als 2700 Richter abgesetzt oder suspendiert - das soll ohne Vorbereitung möglich gewesen sein? Erdogan selbst bezeichnet die schlimme Nacht - die mindestens 265 Menschenleben gefordert hat - als eine "Gabe Gottes", weil sie ihm den Grund für die große "Säuberung" beschert hat - oder den Vorwand?

Allerdings spricht eines klar dagegen, dass das alles nur Theater war: Erdogan hat es überhaupt nicht nötig, irgendetwas vorzugaukeln, um auf dem Weg zu einem Präsidialsystem mit uneingeschränkter Macht weiterzukommen. Er ist so populär, dass ihm die übergroße Mehrheit seiner Landsleute jede Grenzüberschreitung verzeiht. Keine Korruptionsaffäre kann ihm etwas anhaben, kritische Journalisten lässt er einfach wegsperren. Gegen die Kurden im eigenen Land führt er einen erbarmungslosen Krieg, er legt sich mit Russland an und - so heißt es zumindest - schont die Terrormiliz IS, um geheime Öl-Geschäfte am Laufen zu halten.

Nichts davon kann Erdogan gefährlich werden. So wird es denn tatsächlich der dilettantische Versuch einer Militärclique gewesen sein, Erdogan in den Arm zu fallen. In ihrer nächtlichen Erklärung beklagten die Putschisten die ständige Verletzung der türkischen Verfassung und der Gesetze des Landes - völlig zu Recht -, aber Unterstützung brachte ihnen das nicht. Stattdessen stellten sich plötzlich Linke wie Rechte, Nationalisten wie Liberale, Türken und selbst Kurden auf die Seite Erdogans als Sinnbild einer demokratischen Ordnung.

Und das ist er ja auch. Man mag seine Methoden und seine Ziele ablehnen, aber Erdogan hat die Mehrheit seiner Landsleute hinter sich. Nicht anders als Russlands Putin, Ungarns Orban oder Kaczynskis Marionettenregierung in Polen. Allen gemeinsam ist, dass sie ein äußerst zweifelhaftes Verhältnis zum Rechtsstaat haben, dass sie bereit sind, Grundrechte und Gesetze einfach wegzuwischen und dass sie sich dabei auf satte Mehrheiten verlassen können.

Ihr gemeinsames Mittel: pathetisches Gerede von einer nationalen Wiedergeburt. Erst wenn genügend Menschen erkennen, dass dieses Pathos hohl ist, wird ihre Macht enden. Putschen hilft dagegen aber gar nichts.