Mit dem Latein am Ende

Kommentar

17.07.2016 | Stand 02.12.2020, 19:32 Uhr

Das Entsetzen nach dem barbarischen Anschlag von Nizza war groß in Frankreich. Und nicht nur dort. Dennoch war es diesmal anders. Die pietätvolle Unterbrechung des politischen Streits währte nur kurz. Präsident FranÃ.ois Hollandes Trauerbekundungen und Kampfansagen an den Terrorismus wirken mittlerweile erschreckend hohl, sein Aufruf vom Wochenende an seine Landsleute, sich zum Reservedienst zu melden, wie ein Beleg dafür, dass er mit seinem Latein am Ende ist. Kritiker werfen ihm Halbherzigkeit im Anti-Terror-Kampf und im Krieg gegen den IS vor.

Die extreme Rechte profitiert von dieser Stimmung. Jedes Attentat nutzt Marine Le Pen und ihrem Front National. Das wissen die Kommandeure des IS-Terror-Kalifats, die sich zum Nizza-Anschlag bekannt haben. Ob das stimmt oder nicht: Die Attacke passt genau in das Konzept des IS: spektakulär, viele Opfer, darunter Touristen. Ihr Ziel ist es, die französische Gesellschaft zu spalten und Hass auf Muslime zu schüren, was ihnen noch mehr Zulauf bescheren würde. Die westlichen Demokratien haben ihnen wenig entgegenzusetzen. Es ist nicht einmal möglich, alle Gefährder zu entdecken, wie sich in Nizza gezeigt hat.

Der Terrorist unter uns, der sich im Verborgenen radikalisiert und sich bislang unauffällig verhalten hat, ist eine große Gefahr. Der Kampf gegen den Terror wird noch immense Herausforderungen für die offenen Gesellschaften des Westens mit sich bringen. Und er wird lange dauern. Immer wieder beteuern Politiker, man werde sich durch den Terror nicht einschüchtern lassen. Daraus spricht Trotz.

Die Wahrheit ist aber: Wir sind längst eingeschüchtert. Wenn wir argwöhnisch einen Fremden beobachten. Oder Freiheitsrechte gegen Sicherheitserfordernisse abwägen. Doch müssen wir uns hüten, bestimmte Bevölkerungsgruppen unter Generalverdacht zu stellen. Diesen Triumph sollten wir den Terroristen nicht auch noch gönnen.