Ingolstadt
Ein Partner unter Beschuss

Ingolstädter Konsortium "INCityTakeOff" aber unbeeindruckt von Kritik am Lufttaxi-Unternehmen Lilium

13.03.2020 | Stand 23.09.2023, 11:12 Uhr
Ein Unternehmen sucht die große Bühne: Bei ihren PR-Darstellungen präsentiert die Firma Lilium ihr Flugtaxi gerne vor weltbekannten Kulissen. Auf dieser Montage ist der Flieger, der auch beim Ingolstädter "INCityTakeOff" eine Rolle spielen soll, über der Hudson-Mündung vor Manhattan und Jersey City unterwegs. An den Reichweitenversprechen des Start-ups wurden nun aber Zweifel laut. −Foto: Lilium

Ingolstadt - Die Pläne sind hochtrabend - oder besser: hochfliegend.

Bis 2025 möchte das Luftfahrt-Start-up Lilium aus Weßling bei München sein Flugtaxi Lilium Jet zur Einsatzreife entwickelt haben. Das erst 2015 von vier Absolventen der Technischen Universität München gegründete Unternehmen beschäftigt bereits gut 300 Mitarbeiter und ist recht umtriebig, was die Suche nach Investoren und Fördermitteln angeht: Als Partner der Initiative "INCityTakeOff" hat die Firma unlängst im Ingolstädter Rathaus einen von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) höchstselbst ausgehändigten Förderbescheid über gut 400000 Euro einheimsen können (DK berichtete Anfang Februar).

Allerdings hatte sich Lilium zu diesem Zeitpunkt bereits - zunächst nur von der Fachwelt beachtet - auch Verdächtigungen ausgesetzt gesehen, möglicherweise etwas zu vollmundige Versprechungen zu machen: Die Zeitschrift "Aerokurier" hatte unter der Überschrift "Liliums Scheinwelt" unter Berufung auf einen (allerdings nur ihr bekannten) Luftfahrtingenieur eine Gegenrechnung zu den Firmenangaben bezüglich der künftigen Reichweite des Lilium Jets aufgemacht und starke Zweifel angemeldet, ob das fünfsitzige Flugtaxi jemals die avisierten 300 Kilometer am Stück zurücklegen könne.

Auch der "Spiegel" war auf das Thema angesprungen und hatte Lilium in zwei kritischen Berichten unter Beschuss genommen - zuletzt gestützt auf Berechnungen und skeptische Kommentare gleich mehrerer Luftfahrtingenieure.

Einer der in den Berichten aufgeführten kritischen Experten ist Erol Özger, Studiengangleiter und Studienfachberater für Luftfahrttechnik an der Technischen Hochschule Ingolstadt (THI). Gegenüber dem DK bestätigte Özger, früher Ingenieur bei Airbus, dass er die Reichweitenangaben von Lilium für sein Flugtaxi für nicht realistisch hält. Es gehe dabei gar nicht um flugtechnische Feinheiten, sondern schlicht und einfach um physikalische Zusammenhänge und Naturgesetze, die nun mal nicht überlistet werden könnten: Mit der heutigen und wahrscheinlich auch der in näherer Zukunft verfügbaren Batterietechnik sei Liliums Elektro-Jet einfach nicht lange genug in der Luft zu halten, um die wirtschaftlich sinnvollen Reichweiten von mehreren hundert Kilometern zu erreichen. Die meiste Energie werde von dem Senkrechtstarter einfach bereits in den Start- und Landephasen im Schwebflug verbraucht. Danach bleibe nur noch "Saft" für wenige Kilometer.

Für das Ingolstädter Konsortium "INCityTakeOff" spielen diese Zweifel an der Alltagstauglichkeit des projektierten Lufttaxis indes offenbar keine oder doch nur eine untergeordnete Rolle. Stadtbaurätin Renate Preßlein-Lehle, die die Initiative seitens der Stadt angeschoben hat (Ingolstadt ist selber vom Bund geförderter Projektpartner), erinnert an die grundsätzlich andere Aufgabenstellung des hiesigen Vorhabens: Hier geht es um die Verzahnung möglicher künftiger Lufttaxidienste mit dem etablierten öffentlichen Personennahverkehr am Beispiel eines entsprechend ertüchtigten Ingolstädter Hauptbahnhofs. Es solle erforscht werden, welche technischen und baulichen Voraussetzungen für eine solche Verkehrsdrehscheibe der Zukunft erfüllt sein müssen. Das Projekt solle Basisdaten liefern, bei denen es nicht um Reichweiten, sondern um grundsätzliche Machbarkeit gehe.

Was die Auswahl der Partner angehe, so die Stadtbaurätin, habe sich von vornherein nur ein sehr kleiner Kreis von infrage kommenden Unternehmen ergeben. Lilium sei der Stadt ebenso wie einige andere Luftfahrtfirmen aus vorausgegangenen Netzwerktreffen zur Urban Air Mobility (UAM) bekannt gewesen. Die Firma habe sich aber keineswegs in das Ingolstädter Konsortium hineingedrängt.

In dieselbe Richtung argumentiert Vahid Salehi von der Hochschule für angewandte Wissenschaften in München. Er ist mit dem (von ihm gegründeten) Institut Engineering Design of Mechatronic Systems (IEDMS) Koordinator des Ingolstädter Projekts, das nach seinen Worten bis Ende 2022 Ergebnisse liefern soll. Salehi sprach jetzt gegenüber dem DK von "sehr seriösen, sehr professionellen Gesprächen" mit dem Projektpartner aus Weßling. Für die Aufgabe, die sich in Ingolstadt stelle, spiele die Batterietechnik von Lilium praktisch keine Rolle. Die Forschungen zur Integration von Lufttaxis in ein städtisches Verkehrsnetz würden auch keineswegs auf die technischen Gegebenheiten des Lilium Jets ausgerichtet, sondern die erhofften Ergebnisse würden letztlich allen potenziellen Anbietern solcher Fluggeräte zugute kommen.

Salehi erinnert daran, dass auch Technikpionier Elon Musk mit seinem Elektroauto Tesla einst auf große Skepsis gestoßen sei und inzwischen die Automobilbranche gehörig aufmische. Er selbst sei deshalb auch bei Lilium grundsätzlich "ein bissl optimistischer" als die jüngsten Kritiker.

Bei Lilium hat man die skeptischen Berichte der jüngeren Zeit angeblich gut verdaut, auch wenn Ende Februar ein wirklicher Rückschlag zu verkraften war: Einer der beiden Flugtaxi-Prototypen wurde bei einem Brand in einem Hangar auf dem Flugplatz Oberpfaffenhofen stark beschädigt.

Der von der Firma mit der Wahrnehmung ihrer Öffentlichkeitsarbeit beauftragte Münchner Kommunikationsfachmann Hartmut Schultz sagte dem DK jetzt, dass man die Kritik an der Reichweitenrechnung bei dem ambitionierten Start-up hingegen "sehr entspannt" aufgenommen habe. Ganz offensichtlich hätten die von "Aerokurier" und "Spiegel" aufgebotenen Experten zwar richtig, aber mit falschen Ausgangsdaten gerechnet. Die nur die der Firma bekannten tatsächlichen Leistungswerte des Antriebs ergäben ein ganz anderes, eben das von Lilium vertretene Bild mit der durchaus konkurrenzfähigen Reichweite von 300 Kilometern.

Für eine solche Bewahrung von Firmengeheimnissen zeigt man auch im Ingolstädter Konsortium durchaus Verständnis. Koordinator Salehi: "Dass jemand sein Know-how schützt, ist legitim. "

DK

Bernd Heimerl