Ingolstadt
Ein paar Quadratmeter Heimat

Ausstellung in der Reithalle im Klenzepark zeigt Entwicklung des bayerischen Wohnungsbaus von 1918 bis 2018

02.10.2019 | Stand 02.12.2020, 12:55 Uhr
  −Foto: Hauser, Hammer

Ingolstadt (DK) Mit einer Wohnung, soll der Maler Heinrich Zille gesagt haben, könne man einen Menschen genauso töten wie mit einer Axt.

Der Künstler wusste, wovon er redet, kannte er doch das bedrückende Milieu der armen Leute im Berlin der vorletzten Jahrhundertwende nur zu gut. Wie die Form, Größe, Lage und das Umfeld einer Wohnung das Leben der Menschen in Bayern seit hundert Jahren beeinflussen, das zeigt derzeit eine Ausstellung in der Reithalle des Ingolstädter Klenzeparks. Sie ist täglich von 15 bis 18 Uhr bei freiem Eintritt geöffnet.

Die Schau mit dem Titel "Wohnungen, Wohnungen, Wohnungen" ist Teil der Jubiläumsveranstaltungen zum 100-jährigen Bestehen des Freistaates Bayern. Verantwortlich für die Wanderausstellung ist das Bau- und Verkehrsministerium in Zusammenarbeit mit dem Architekturmuseum der Technischen Universität München.

Schwerpunktmäßig werden Beispiele des sozialen und geförderten Wohnungsbaus gezeigt, die häufig auch viel über die jeweiligen Zeitumstände aussagen oder stilbildend für ganze Siedlungsformen wurden, Stichworte München-Neuperlach oder Nürnberg-Langwasser. Ungewöhnlich besonders aus heutiger Sicht erscheint auch die Reichskleinsiedlung Freimann aus dem Jahr 1931, entworfen vom Architekten Karl Meitinger.

Dort wurden während der großen Weltwirtschaftskrise im Rahmen von Siedlerstellen mit jeweils 2500 Reichsmark Darlehen etwa 150 bescheidene Einfamilienhäuser (32 bis 60 Quadratmeter Wohnfläche) plus Nutzgarten und Stall für Kleintierhaltung gebaut. Der Clou an der Sache: Erst als die Siedler diese Häuschen fertig hatten, folgte per Losverfahren die Verteilung untereinander. Denn so sollte garantiert werden, dass alle die gleiche Ausführungsqualität bekommen. Wenig überraschend, dass im Dritten Reich auch die Wohnungspolitik dem NS-Rassenwahn unterworfen wurde. "In den Städten kam es zu Wohnraumbeschaffung durch Arisierungsmaßnahmen", heißt es in der Ausstellung, "Juden wurden zugunsten arischer Inanspruchnahme aus ihren Wohnungen vertrieben und in Barackenlagern wie der Judensiedlung Milbertshofen in München untergebracht. " Für die glorreiche Zeit nach dem versprochenen "Endsieg" sollte ein Erlass Hitlers der "Vorbereitung des deutschen Wohnungsbaus nach dem Krieg" dienen. Es kam ganz anders. Nach 1945 galt es, sich der verheerenden Schäden aus der NS-Hinterlassenschaft anzunehmen: zerstörte Städte, Millionen von Flüchtlingen ohne menschenwürdige Unterkunft. In der Reithalle sind zwei ganz unterschiedliche Arten der Wohnraumbeschaffung aus der Nachkriegszeit zu sehen: die Siemenssiedlung in Erlangen und die wiederaufgebaute Fuggerei in Augsburg.

Vielleicht der entscheidende Faktor für die nächsten Jahrzehnte der Baupolitik sollte das Massenverkehrsmittel Auto werden. "Neben Parkplätzen wurden Garagen zu wichtigen Bestandteilen der Stadtplanung und des Wohnungsbaus", diese Aussage der Ausstellungsmacher kann bis heute jeder Ingolstädter bestätigen. Sobald die Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft (GWG) eine der hässlichen Reihengaragen abreißen und durch Wohnungen ersetzen will, fühlt sich jemand in seinen ureigensten Rechten als Mieter verletzt.

Die GWG ist in der Schau unter anderem mit einem integrierten Wohnprojekt des kürzlich verstorbenen Architekten Andreas Meck in der Sebastian-/Kellerstraße vertreten. Auch ihr berühmt-berüchtigtes "Schlachtschiff" an der Nordtangente (Hindenburgstraße) wird präsentiert samt dem späteren Umbau. Der in den siebziger Jahren als "städtebauliche Dominante" konzipierte Betonbau (Planung: Geith, Kolb, Stich) ist dem Dauerlärm eines der lautesten Verkehrsknotenpunkte Ingolstadts ausgesetzt. 1990 verpasste die GWG (Konzept: Thomas Sieverts) dem Riesenriegel eine Runderneuerung mit Treppenhäusern, Laubengängen und einem Mauervorbau, der zumindest die unteren Geschosse abschirmen sollte.

Nach so viel Gigantismus tut ein Blick in die historische und eher gemütliche Abteilung Haustechnik und Wohnkomfort gut. Dort können sich speziell jüngere Besucher mit Kuriositäten wie dem samstäglichen Familienbadetag oder der auf Hochglanz polierten Musiktruhe im Wohnzimmer vertraut machen. Nicht zu vergessen der Siegeszug des Waschvollautomaten und der Gefriertruhe.