Ingolstadt
Ein Knirschen im Bildungssystem

30.04.2010 | Stand 03.12.2020, 4:03 Uhr

Im Gespräch: Christine Speth von Audi, Schuldirektor Reinhard Kammermayer, Schülervertreter Jonathan Spanos und Hochschulpräsident Gunter Schweiger diskutieren über die Zukunftschancen des Abitur-Doppeljahrgangs im nächsten Jahr. - Foto: Schober

Ingolstadt (DK) Es ist wie bei einer Springflut: Der Tag, an dem der Wasserpegel steigen wird, lässt sich vielleicht vorhersagen. Aber das Ausmaß und die Auswirkungen der Flut kann keiner so richtig abschätzen.

Der doppelte Abiturjahrgang, der 2011 die Gymnasien verlassen wird, wird so viele Absolventen wie nie zuvor an die Universitäten und auf den Ausbildungsmarkt spülen. Wie die regionale Wirtschaft und Hochschulen sich darauf vorbereiten, haben sie bei einer Diskussionsrunde am Donnerstagabend auf Einladung der Hochschul- und Bildungsarbeitskreise der CSU erklärt. Besorgte Schüler und Eltern diskutierten mit.

Das Problem ist bekannt: durch die bayernweite Verkürzung der Schulzeit von 13 auf insgesamt zwölf Jahre, werden im kommenden Jahr gleich zwei Jahrgänge ihr Abitur machen. Die so genannten G8-Schüler haben ihren Abschluss also schon nach acht Jahren auf dem Gymnasium erreicht. Um die Abiturientenflut aufzufangen, wurden bayernweit rund 38 000 zusätzliche Studienplätzen geschaffen. Mehr Professoren, spezielle Berufsberatung und Übergangsangebote für Praktika zum Studienbeginn sollen zudem für Abhilfe sorgen.

Die Ingolstädter Hochschule für angewandte Wissenschaften (FH) hat in der Vorbereitung auf den Doppeljahrgang ihr Lehrpersonal verdoppelt. "Seit 2006 haben wir 60 zusätzliche Professoren eingestellt", sagte Hochschulpräsident Gunther Schweiger. Außerdem bietet die Hochschule einen vorgezogenen Studienbeginn für die Absolventen des G9-Jahrgangs, die ihre Abiturprüfungen schon im März schreiben, an. So können sie direkt nach den Abiturprüfungen ab Mai in das verschobene Sommersemester starten. "Morgens zum Semesterbeginn, abends zur Abiparty", so fasst auch Reinhard Kammermayer, Direktor des Katharinen-Gymnasiums, das Angebot lachend zusammen. Damit fiele zwar die Erholungspause nach den Prüfungen aus, dafür hätten diese Studierenden bereits ein Semester Vorsprung vor ihren Schulkameraden. "Wer nach der Abiprüfung gleich an die Uni geht, hat gute Chancen auf einen Studienplatz", so Schweiger. Trotz aller Vorbereitungen rechnet Schweiger aber mit Engpässen: "Es ist klar, dass das nicht ohne ein gewisses Knirschen geschehen wird".

Viel zu tun hat derzeit Elisabeth Pfeifer von der Ingolstädter Agentur für Arbeit. Sie bietet Berufsberatung in Schulen an. Die Nachfrage ist groß, in ihrem Kalender sind nur noch wenige Termine frei. "Es gibt bei den Schülern des Doppeljahrgangs schon eine gewisse Verunsicherung, aber es herrscht keine Panik", so Pfeifer. Für Schüler, die sich für ein Studium im technischen oder naturwissenschaftlichen Bereich interessieren, ist derzeit eine Praktikumsinitiative in Planung. "Die Region hat beschlossen, dass wir uns nicht überrollen lassen wollen von dem doppelten Abi-Jahrgang, sondern wir wollen das aktiv gestalten", sagte Christine Speth von Audi. Gemeinsam mit der Initiative Regionalmanagement (Irma) wolle sie eine Praktikumsinitiative auf die Beine stellen. Das Programm soll 2011 den Abiturienten die Möglichkeit geben schon einmal in das Arbeitsleben hinein zu schnuppern und gleichzeitig erste Hochschulkurse zu besuchen.

Bislang ist jedoch nicht mal klar, wie viele Absolventen des Doppeljahrgangs sich für die Praktikumsinitiative oder den sofortigen Studienbeginn nach den Abiprüfungen interessieren. Deswegen findet derzeit eine Befragung an den regionalen Gymnasien statt. Arbeitsagentur und Irma wollen herausfinden, was die Schüler nach dem Abi überhaupt machen wollen. Der Schülervertreter des Reuchlin-Gymnasiums, Jonathan Spanos, hingegen hält es für unwahrscheinlich, dass sich viele G9-Schüler für einen unmittelbaren Studienbeginn entscheiden. Er bezweifelte auch den Sinn der Berufsinformationsangebote und stellte die Sorgen der Absolventen in den Mittelpunkt: "Selbst wenn wir den Doppeljahrgang an die Unis bekommen, wer stellt die ganzen Akademiker denn eines Tages ein"