Pfaffenhofen
Ein Erbfall als Zwischenfall

„Außergewöhnlich guter Text“: Lutz-Stipendiatin beeindruckt den Kulturreferenten und das Publikum

30.07.2017 | Stand 02.12.2020, 17:43 Uhr
Mit einer außergewöhnlichen literarischen Hommage verabschiedete sich Marie-Alice Schultz von Pfaffenhofen. Unser Foto zeigt sich mit Drittem Bürgermeister Roland Dörfler (rechts) und Kulturreferent Steffen Kopetzky nach der Lesung im Rathaussaal. −Foto: Schüler

Pfaffenhofen (PK) Zahlreiche interessierte Zuhörer sind am Samstagabend zur Abschlusslesung der Lutz-Stipendiatin Marie-Alice Schultz in den Festsaal des Rathauses gekommen. Sie verabschiedete sich von Pfaffenhofen mit einer außergewöhnlichen literarischen Hommage.

Trotz der hochsommerlichen Temperaturen konnte der Dritte Bürgermeister Roland Dörfler rund 40 literaturinteressierte Besucher im Rathaussaal begrüßen. Steffen Kopetzky, Kulturreferent der Stadt, führte in einem charmanten und hintergründigen Gespräch mit der diesjährigen Stipendiatin in den Lesungs-Abend ein. Dabei verwies Kopetzky auf eine Jugendsünde von Joseph-Maria Lutz, der in jungen Jahren Goethe literarisch als überbewertet einstufte. Mit einem Vers von Goethe leitete Kopetzky wunderbar über zu einem Lieblingsthema der Stipendiatin – Meteoriten und das persönliche Verständnis der Autorin davon, wie wichtig es für den Menschen sei, ab und zu auch mal aus der Bahn und der Langeweile von Wiederholungen geworfen zu werden. Ein „Zwischenfall“, um mit Joseph-Maria Lutz zu sprechen. Diese „Geflechte“ wie sie es nannte, waren dann auch ein wichtiger Bestandteil beim Vortrag dreier Auszüge ihres Roman-Manuskripts „Mikado-Wälder“. Protagonist des noch unveröffentlichten Romans ist der ehemalige Diskuswerfer Zarelli, dessen mehr oder weniger komplexe Beziehung zu anderen Charakteren, wie seiner Familie, Freunden und Mitmenschen die Autorin in gekonnt poetischer, hintersinniger, teils witziger Art beschreibt. Die Nachwuchs-Autorin Marie-Alice Schultz, die ursprünglich aus Hamburg kommt, hat Theaterwissenschaften und Germanistik an der Freien Universität Berlin und Bildende Kunst in Wien an der Hochschule für angewandte Kunst studiert. Mit Textpassagen ihres Romans hatte sie sich auf das Lutz-Stipendium beworben, wurde von der Jury ausgewählt und zog dann im Mai im Flaschltum ein. „Mich faszinierten von Beginn an die Einfachheit und die Leere des Raums. Keine persönlichen Gegenstände, die einen meist nur hemmen“, so die junge Autorin. Dort arbeitete sie drei Monate weiter an ihrem Roman und schrieb auch, wie es in der Stipendiumsausschreibung heißt, ein Werk über ihre Eindrücke in und mit Pfaffenhofen.

Nachdem sie bereits wusste, dass sie das Stipendium in Pfaffenhofen bekommen wird, teilte ihr ein Studienfreund und Kunstkollege aus Wien mit, dass seine Tante verstorben sei und dass er ihre Wohnung geerbt hat – und zwar in Pfaffenhofen. Und so wurde per Zufall aus dem Erbfall ein weiterer Lutz'scher Zwischenfall. Dieses Thema wollte Marie-Alice Schultz literarisch verarbeiten, bekam die Erlaubnis zur Recherche und Zutritt zur Wohnung der Tante. Dort durfte sie persönliche Gegenstände, Briefe, Dokumente und Fotoalben in Augenschein nehmen und konnte so aus vielen einzelnen Mosaiksteinchen ein Bild über ein ganz besonderes Leben in Pfaffenhofen entstehen lassen. Die persönliche Geschichte der Tante und ihrer Familie hat sie so fasziniert, dass sie sich anhand von Fotos auf Spurensuche in und um Pfaffenhofen machte. Ihre Erlebnisse und Begegnungen mit Menschen und Orten, ihre vielen Einblicke und Erkenntnisse schilderte die Stipendiatin in einer so einmaligen Art und Weise, dass selbst der sonst so wortgewandte Steffen Kopetzky seine Begeisterung nicht verbergen konnte und sichtlich nach Worten rang. „Ich stammle, weil ich wirklich bewegt bin von diesem außergewöhnlich guten Text.“ Eine Zuhörerin, die, obwohl keine Namen genannt wurden, die Tante offensichtlich gekannt hat und sofort wusste, um wen es geht, ließ die Schriftstellerin wissen, dass die Betroffene über diesen Text sicher total glücklich gewesen wäre. So ist es nicht verwunderlich, dass die junge Autorin für die beeindruckende Lesung lang anhaltenden Applaus vom Publikum bekam. Abschließend durfte Marie-Alice Schultz noch vom Dritten Bürgermeister das Buch „Mia san Holledauer“ und einen Katalog der Werke von Nikolaus Hipp entgegennehmen. Und Steffen Kopetzky kündigte schon ein Wiedersehen Pfaffenhofens mit der Künstlerin und den anderen Flaschlturm-Stipendiaten im nächsten Jahr anlässlich der Paradiesspiele an.