Arosa
Ein Bayer in der Schweiz

In Arosa ist man nach der Uraufführung von Simon Mayrs "Essighändler" begeistert – und will mehr von ihm

30.07.2012 | Stand 03.12.2020, 1:13 Uhr

Vittore (Daniel Bentz) ist verzweifelt: Seine Geliebte soll mit einem anderen verheiratet werden. Die kleine Oper „Der Essighändler“ wird in Arosa gespielt. Es gibt allerdings auch Bemühungen, die Produktion im kommenden Jahr als Gastspiel in die Region Ingolstadt einzuladen. - Foto: Homberger

Arosa (DK) Bekommt der Komponist Simon Mayr (1763 bis 1840) ein eigenes Festival in der Schweiz? Ausgerechnet in der wunderschönen Touristenhochburg Arosa ist man vom „Vater der italienischen Oper“ begeistert und denkt zumindest darüber nach, von jetzt ab regelmäßig Werke von Mayr ins Programm zu nehmen.

Christian Buxhofer (50), Leiter des Kulturkreises Arosa und Chefredakteur des „Bündner Tageblatt“, jedenfalls gerät sofort ins Schwärmen, wenn er von dem bayerischen Komponisten spricht.

Sein kleines Opernfestival „Arosa Musik Theater“ hat heuer Mayrs Farsa „Der Essighändler“ auf die dortige Waldbühne gebracht und erstaunlichen Zuschauerzuspruch gefunden. „Für uns ein Volltreffer“, sagt der Kulturpolitiker gegenüber unserer Zeitung.

Buxhofers Motive sind offensichtlich. Die kaum mehr als 2200 Einwohner zählende Gemeinde Arosa ist wirtschaftlich abhängig vom Tourismus. In den Wintermonaten kommen in das Skifahrer-Paradies bis zu 25 000 Gäste. Im Sommer hingegen sind die Hotels weitaus schwerer zu füllen, denn das Freizeitangebot in dem traumhaft schön gelegenen Ort ist unzureichend. So ist die Bevölkerungszahl von Arosa seit Jahren rückläufig.

Christian Buxhofers Kulturkreis sucht hier nach Abhilfe. Ein wichtiger Baustein zum Erfolg sind für ihn die zahlreichen Sommermusikkurse, die inzwischen angeboten werden. Außerdem engagiert sich Buxhofer mit selbst produzierten Opern. In den vergangenen Jahren kamen Werke wie Humperdincks „Hänsel und Gretel“, Donizettis „Don Pasquale“ und eine szenische Version der zwei weltlichen Bach-Kantaten auf die kleine, idyllisch gelegene Waldbühne. Aber mit keiner Oper ist man hier so gut gefahren wie mit Mayrs „Essighändler“.

Gute Musik kann nur zum Erfolg werden, wenn sie vorzügliche Interpreten findet. Aber umgekehrt ist es ein Zeichen von hoher Qualität, wenn es überhaupt möglich ist, ein selten gespieltes Werk so aufzuführen, dass es funktioniert, dass es das Publikum anrührt, es bewegt. Das ist mit Mayr-Opern mehrfach gelungen, etwa in St. Gallen und in der Staatsoper München mit „Medea“. Und nun auch in Arosa mit dem „Essighändler“.

Natürlich ist die einaktige Posse von Mayr kaum mit seinen gewaltigen Operntragödien zu vergleichen. Die Farsa ist ein Kammerspiel, kurz, mit nur einem Bühnenbild, einem sehr kleinen Orchester und nur wenigen Darstellern. Dennoch steckt in der kleinen Opera buffa große Kunst. Denn Simon Mayr gilt als der Meister dieser Gattung. Natürlich gibt es auch Farsas von Gaetano Donizetti oder Gioachino Rossini. Aber kein anderer Komponist ist mit dieser Kunstform so souverän umgegangen wie Mayr.

Bei der Farsa, mit ihren oft konventionellen Handlungen voller Irrungen und Wirrungen, Intrigen und Liebeleien, kommt es vor allem auf eines an: Das Publikum muss sich amüsieren. Die Farsa zählt also genauso wie etwa die Operette eher zur leichten Muse.

In Arosa hat man das erkannt. Regisseur Michael Lochars Übersetzung aus dem Italienischen ist fast schon eine Bearbeitung. Der „Essighändler“ spielt nun in Zeiten der Finanzkrise, Kaufleute müssen Konkurs anmelden, weil den Banken das Geld ausgeht. Die Anspielungen sorgen für Lacher.

Und ein Bankrott macht am Ende alle glücklich. Es geht in der Geschichte nämlich um Vittore, den Sohn eines Essighändlers, der bei einem befreundeten Kaufmann in die Lehre geht und sich dort in dessen Tochter Metilde verliebt. Der Kaufmann allerdings ist gerade dabei, die Hochzeit seiner Tochter mit dem Mitgiftjäger Flaminio zu arrangieren – steht aber gleichzeitig dicht vor dem Konkurs. Am Ende löst der gutsituierte Vater von Vittore, der Essighändler, alle Wirrnis mit einem mit Diamanten gefüllten Trinkglas. In Zeiten der Krise zählen bekanntlich materielle Werte mehr als Optionen und Aktienderivate. So unspektakulär die Handlung ist, so witzig kann man sie auf die Bühne bringen. Regisseur Michael Lochar tut das einzig Richtige: Er möbelt die Mayr-Oper respektlos auf (wie man es übrigens im frühen 19. Jahrhundert auch getan hätte, als man etwa Nestroy-Possen mit aktuellen Anspielungen versah). So schreckt er nicht davor zurück, in die Geschichte Schlager wie „Mein kleiner grüner Kaktus“, „Ein Freund, ein guter Freund“, einen Strauß-Walzer oder „Matilda, Matilda“ zu integrieren. Oder eine Arie aus Glucks „Orpheus und Eurydike“ zu entleihen („Ach, ich habe sie verloren“), die mit neuem Text über Zahlungsengpässe und Banken-Crashs unglaublich komisch wirkt.

Besetzt haben Michael Lochar und die musikalische Leiterin Zoi Tsokanou die Rollen durchweg mit jungen, spielfreudigen Darstellern, die alle sehr textverständlich singen, deren leichten Stimmen es aber noch an Substanz fehlt. So gelingen im kargen Bühnenbild von Sean McAlister fetzige Szenen. Eine gute Figur macht besonders Christian Büchel als Essighändler mit seinem warmen Bariton. Technisch hervorragend singt auch Katarzyna Rzymska die Metilde, allerdings fehlt es ihrer Stimme etwas an lyrischen Qualitäten. Von den beiden Tenören kann besonders Daniel Bentz (Vittore) überzeugen. Zoi Tsokanou dirigiert fesselnd, druckvoll, wendig, mit Sinn für Tempi und äußerst präzise das Festivalorchester Arosa – sicher auch ein Grund für den Erfolg der Produktion.

Genauso natürlich wie die Musik von Simon Mayr. Die Farsa klingt so glänzend instrumentiert, so temperamentvoll, tempoverliebt, witzig und rasant wie eine frühe Rossini-Oper – allerdings lange bevor der Italiener anfing zu komponieren. Denn der „Essighändler“ wurde 1800 uraufgeführt – man mag es kaum glauben.

Der Abend zeigt vor allem: Mayr konnte geniale, zukunftsweisende Musik schreiben, die sich vorzüglich auf die Bühne bringen lässt.