Ein Bayer auf Helgoland

29.08.2012 | Stand 03.12.2020, 1:07 Uhr
Helgoland aus der Vogelperspektive −Foto: Wikipedia/Pegasus2

Helgoland (DK) Das Herz der Insel pulsiert am Binnenhafen. Zumindest an einem Sommersonntag imAugust, wenn Scharen von Tagesgästen aus den Booten klettern und Helgoland überfluten. Klaus Furtmeier kennt das Treiben, vom Fenster seines Büros im Rathaus genießt er den besten Blick.

Kurz vor 15 Uhr wird es hektisch: In den Geschäften am Hafen herrscht Hochbetrieb. Opa kauft eine mehrwertsteuerbefreite Flasche Whisky für die Hausbar, während Oma Schokolade für die Enkel auf das Kassenband türmt. Kein Zweifel: Das Geschäft mit dem Fusel, dem Parfüm und den Kippen brummt nach wie vor. In ein paar Minuten müssen die Tagesgäste wieder in die Barkassen steigen, die sie zurück zu ihren Fähren nach Büsum, Bremerhafen oder Cuxhaven bringen, die draußen an der Reede ankern.

Dann kehrt Ruhe ein auf  Helgoland. An der Kurpromenade sitzen Rentnerehepaare, genießen die wärmenden Sonnenstrahlen und lauschen einem Alleinunterhalter, der aus einem Pavillon „Country Roads“ und „Über den Wolken“ zum Besten gibt. Über ihnen tanzen die Möwen durch die Luft. „Wenn die Schiffe weg sind, wird ein Gang heruntergeschaltet“, sagt Furtmeier. Seit fast fünf Jahren lebt er nun auf Helgoland. Dass der gebürtige Münchner irgendwann einmal auf dem winzigen Eiland in der Deutschen Bucht als Tourismusdirektor arbeiten würde, hätte er sich wohl kaum vorstellen können. Zuvor war er neun Jahre lang in der gleichen Funktion fast 1000 Kilometer weiter südlich tätig – in Garmisch-Partenkirchen.

„Das war eine schöne Zeit“, erinnert sich Furtmeier. Doch er suchte nach einer neuen Aufgabe. „Dann habe ich die Stellenausschreibung von Helgoland gelesen. Ich habe nicht geglaubt, dass ich überhaupt zum Vorstellungsgespräch eingeladen werde“, wundert er sich noch heute. Wurde er aber. Furtmeier überzeugte. „Man wollte jemanden von außen, der völlig neutral ist und sich schon einige berufliche Sporen verdient hat“, sagt der 50-Jährige.

Im Oktober 2007 unterzeichnete er einen Fünfjahresvertrag und zog nach Helgoland. „Um zurechtzukommen, muss man ein klares Bekenntnis abgeben, sonst wird es nichts“, ist er überzeugt. Furtmeier integrierte sich schnell: In seinem ersten Winter belegte er an der Volkshochschule einen Kurs in Halunder, dem auf Helgoland gesprochenen friesischen Dialekt. „Ich wollte wissen, was die reden“, erklärt er. Inzwischen versteht er fast alles, nur mit dem Sprechen hat er noch ein paar Probleme.

Heute kann er es zugeben: Der Münchner hatte zuvor noch nie einen Fuß auf die Insel gesetzt. Warum also Helgoland? Seine Antwort klingt wie eine Marketing-Floskel: „In dieser Insel steckt so viel Potenzial, das ungenutzt ist.“ Doch seine Begeisterung für die Insel nimmt man ihm ab: Furtmeier gerät ins Schwärmen, wenn er von Helgoland spricht – besonders von der Düne, der Helgoland vorgelagerten Insel. „Wer nicht auf der Düne war, war nicht auf Helgoland. Nirgendwo sonst können Sie Seehunde betrachten und im Winter die Geburt der Kegelrobben miterleben.“ Er habe gelesen, dass die Luft auf Helgoland sogar besser sei als auf der Zugspitze.

Natürlich kennt auch Furtmeier die Klischees vom Fusel-Felsen, vom Rentnerparadies, vom Butterfahrten-Ziel. „Je weiter man südlich von Hamburg kommt, desto gefestigter ist dieses Image“, hat er festgestellt. Obwohl der Steuervorteil beim Kauf von Spirituosen und Zigaretten minimal ist, wird die Insel dieses Image wohl auch nicht mehr loswerden. Doch das stört Furtmeier nicht: „Das ist der Mitnahmeeffekt. Und nebenbei: Wir haben nichts gegen die ältere Generation.“ Zumal der Tourismusdirektor weiß, dass die Senioren eine zahlungskräftige Klientel sind.

Den Schwerpunkt seiner Arbeit hat Furtmeier jedoch auf den Urlaubstourismus gelegt – mit messbarem Erfolg. Im vergangenen Jahr registrierten die Tourismusbetriebe mitmehr als 68.000 übernachtenden Urlaubern und insgesamt fast 265.000 Übernachtungen einen Rekord. Seit Furtmeier für den Tourismus auf Helgoland verantwortlich ist, hat sich die Zahl der Gäste, die mehr als einen Tag auf der Insel bleiben, um fast 50 Prozent erhöht.

Trotz dieser erfreulichen Entwicklung kämpfen die Inselbewohner mit vielen Problemen. Das vielleicht drängendste: Der Insel fehlt die Jugend. „Die Altersgruppe der 16- bis 35-Jährigen ist stark unterrepräsentiert“, berichtet Furtmeier. Die Gründe liegen auf der Hand: Das schulische Angebot auf Helgoland reicht bis zur Realschule. Wer Abitur machen will, muss aufs Festland. Und auch danach sind die Perspektiven begrenzt: „Es gibt noch vier Fischer im Nebenerwerb, ein bisschen Handwerk und den Tourismus“, zählt Furtmeier auf. Wer eine Karriere in einem anderen Berufszweig anstrebt, muss die Insel verlassen.

Allerdings besteht Hoffnung: 35 Kilometer nordwestlich von Helgoland entstehen drei Offshore-Windparks – und damit neue Jobs auf der Insel. Helgoland dient als Stützpunkt für die Arbeiter und die Lagerung des Materials. „Wir werden die erste Windkraft-Serviceinsel der Welt“, sagt Furtmeier. Ein Unternehmen hat das größte Hotel für die kommenden zehn Jahre komplett gemietet, um dort Mitarbeiter und Geschäftspartner unterzubringen. Gut für das Hotel, schlecht für den Tourismus. „Das tut weh“, gibt Furtmeier zu. Bei insgesamt 2600 Gästebetten auf Helgoland scheinen die dauerhaft ausgebuchten 100 Betten dieses Hotels kaum ins Gewicht zu fallen, doch im höherpreisigen Segment ist die Insel nicht allzu breit aufgestellt. „Wir bräuchten 400 Betten in dieser Kategorie, um die Nachfrage zu bedienen“, erklärt Furtmeier.

Baugrund ist allerdings rar auf dem nur einen Quadratkilometer großen Eiland. Den Vorschlag eines Hamburger Investors, Düne und Hauptinsel zu verbinden und damit die Inselfläche zu verdoppeln, haben die Helgoländer in einem Bürgerentscheid im vergangenen Jahr mit knapper Mehrheit abgelehnt. „Ich habe dafür gestimmt“, sagt Furtmeier. Aufgegeben hat er diesen Plan noch nicht. „Es kann gut sein, dass im Juni 2013 ein neues Referendum kommt.“ Ob es so kommt, wird Furtmeier aus nächster Nähe beobachten können: Seinen Arbeitsvertrag hat er jedenfalls vor Kurzem um weitere fünf Jahre verlängert. „Ich kann mir vorstellen, auf der Insel jung zu bleiben.“