Wettstetten
"Dunkles Weizen ist einfach das allerbeste Bier"

Zwei Mexikaner besuchten Wettstetten und zeigten sich von Küche, Land und Leuten begeistert

25.05.2016 | Stand 02.12.2020, 19:46 Uhr

Ein Prosit auf Deutschland: Der Bierfavorit von Helen und Alejandro Navarro ist dunkles Weißbier. Dass man Weißwürste eigentlich paarweise isst, wurde beim Probieren vernachlässigt (oben). Bei ihrer Waldwanderung waren die beiden mexikanischen Besucher von der Natur beeindruckt. - Fotos: Gülich

Wettstetten (DK) "Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was erzählen", sagte schon Matthias Claudius. Das können auch Helen und Alejandro Navarro, die ihr Zuhause in einer mexikanischen Millionenstadt für zwei Wochen gegen ein bayerisches Dorf getauscht haben. Ein Besuch in Wettstetten.

Alejandro Navarro nippt an seinem Kaffee und lächelt bei der Frage, was ihm in Deutschland am besten gefällt. "Die Ordnung", sagt er wie aus der Pistole geschossen. "Die Ordnung und die Sauberkeit. Überall, auf den Straßen, in den Städten und sogar in den Supermärkten ist alles so sauber und ordentlich. Wunderbar!"

Für seine Frau Helen war der schönste Tag überhaupt der Ausflug nach Weltenburg - mit Wald- und Wiesenwanderung zum Kloster. "Der Wald war herrlich. Die riesigen Bäume, das helle Grün, alles sauber, nirgendwo Müll, und es hat so gut gerochen. Und dann der Weg über die blühenden Wiesen zur Donau." Ihre Augen strahlen, als sie vom Picknick auf den Kieseln am Donaustrand erzählt, von der Klosterkirche St. Georg, die sie tief beeindruckt hat, und der Bootstour durch den Donaudurchbruch. Die Kirchen, die sie in Deutschland gesehen haben, haben Alejandro auch sehr gut gefallen. Und die Führung durch die Produktion bei Audi, die riesigen Roboter, die ausgestellten Autos im Eingang und im Museum Mobile. Und dass so viele Leute, auch ältere, in Ingolstadt mit dem Rad unterwegs sind.

Helen (77) und Alejandro Navarro (75) sind zum ersten Mal in ihrem Leben in Europa. Zwei Wochen besuchen sie ihre ehemaligen Nachbarn in Puebla, die nach einem dreijährigen Auslandsaufenthalt dort 2007 wieder nach Deutschland zurückgekehrt sind. Seitdem blieb der Kontakt bestehen. Nun haben sich Helen und Alejandro nach so vielen Jahren ein Herz gefasst und das Abenteuer gewagt, sich nach Deutschland aufzumachen.

Begeistert sind beide vom deutschen Brot, den Nachtischen und vom Kuchen. "Ist der etwa selbst gemacht", fragen sie bei verschiedenen Einladungen. Und ernten jedes Mal ein Lachen mit leicht empörtem Unterton. Was für eine Frage, natürlich sind die Kuchen selbst gebacken. Auch deutsche Würschtl und das vielseitige Aufschnittangebot schmecken den Gästen. Aber es gibt auch die Kehrseite des guten deutschen Essens: "Oh, ist das Apfel" fragt Helen, als sie die vorsaisonale importierte Honigmelone probiert. Nun ja, fast. Immerhin hat sie nicht auf Gurke getippt. Mit dem Früchteangebot mexikanischer Märkte und deren Aroma kann Deutschland nicht mithalten.

Das Lieblingsbier der beiden ist dunkles Weizen. Sie haben begeistert viele Biersorten durchprobiert, "aber dunkles Weizen ist einfach das allerbeste", da ist sich Helen sicher. Ein besonderer Tag in Sachen Gerstensaft war der Besuch eines Bierfestes mit Verlesung des Reinheitsgebots, Bierköniginnen und Blasmusik. "Es war klasse, die Fröhlichkeit und Feierlaune der Leute zu erleben", erzählt Alejandro. Die Deutschen gelten in Mexiko - und sicher nicht nur dort - als eher kühl und streng und nicht sehr herzlich. Dass das mit Freunden anders ist, wenn man sich kennt und vertraut, war den Mexikanern schon klar. "Aber auch mit den Leuten auf der Straße ist es so nett. Auch wenn sie anfangs vielleicht ein bisschen verbissen aussehen, wenn man ins Gespräch kommt, ist alles Kalte und Abweisende gleich weg. Die Metzgereiverkäuferin hat mich sofort den Schinken probieren lassen, als sie gemerkt hat, dass ich mich nicht entscheiden kann", berichtet Helen. "Und wie nett der Hopfenbauer uns beim Bierfest alles erklärt und gezeigt hat", fügt Alejandro hinzu.

Ihren mexikanischen Lebenshintergrund haben sie natürlich mitgebracht. Er äußert sich im Alltag zum Beispiel in Fragen wie: "Kann ich wohl mein Handy im Auto lassen" beim Metzgereinkauf im Dorf. "Wegen der Autoknacker, die diese Spezialsensoren für elektronische Geräte haben." Die böse Welt zu Besuch beim Wettstettener Dorfmetzger.

Irritiert sind die beiden beim Vorbeifahren an der Grundschule. Nur ein hüfthoher Zaun, kein Wachpersonal, das Eingangstor steht sogar offen. "Das gibt es in Mexiko nicht", sagen sie gleichzeitig. "Viel zu gefährlich. Bei uns haben die Schulen hohe Mauern und alle Besucher werden kontrolliert, damit den Kindern nichts passiert."

"Hat das Haus Heizung", möchte der interessierte Mexikaner beim Essen wissen. Ja, das haben alle Häuser in Deutschland. Wer hätte gedacht, dass eine Kellerführung durch die Haushaltstechnik eines Einfamilienhauses in Bayern auf einmal zum Erlebnis wird. Als die Temperatur während ihres Aufenthaltes mal von Sonne bei guten 20 Grad auf unter 20 mit Nieselregen sinkt, macht das auch nichts, denn man ist gerüstet: Helen erscheint zur Fahrt in den Supermarkt mit dicken schwarzen Wollhandschuhen, die sie extra für ihren Europa-Aufenthalt mitgebracht hat. Man weiß ja schließlich, dass auf das Wetter in Deutschland kein Verlass ist.

Andere deutsche Alltäglichkeiten rufen ungläubiges Staunen hervor: Das bei einem Ausflug nach Köln vergessene Armband liegt am nächsten Tag im Briefkasten - für 1,45 Euro mit Normalpost geschickt. Wie kann das sein? Und überhaupt, an jeder Ecke ein gelber Briefkasten, in den man seine Post einwerfen kann. Oder E-Bike fahren. Diese Möglichkeit des Radelns war Fahrradfan Alejandro bisher nur vom Hörensagen bekannt. Mit einem mal eben kurz beim Nachbarn ausgeliehenen E-Bike kann er ein bisschen zum Ausprobieren durch Wettstetten kurven.

Höchst unverständlich für die beiden Mexikaner: Wettstettens Grundschulkinder gehen alleine zur Schule. Erstklässler! Und manche, die nach Kösching zur Montessori-Schule fahren, steigen sogar in den Bus ein. Alleine! Dafür hat man bestenfalls ein "ah ja" übrig, was übersetzt auch so was wie "Diese Deutschen! Wie können sie nur!" heißen könnte. In Mexiko werden auch Mittelstufenschüler meistens noch von den Eltern zur Schule gebracht.

Interessant ist, wie präsent für die beiden die Aufbauleistung der Deutschen nach dem Krieg ist. "Wie aus Nichts alles wieder neu errichtet wurde", fassen sie zusammen. Und abschließend sagen sie: "Am meisten werden wir unsere deutschen Freunde vermissen, die bayerischen Köstlichkeiten und die saubere Natur." Und Alejandro ist sich sicher: Er würde nur noch Fahrrad fahren, wenn er in Deutschland bleiben würde. Außer zum Bier kaufen. Mit dem Weizenkasten auf dem Gepäckträger wäre es doch zu wackelig.