Eichstätt
Drucke vom "Volk der Blütenmenschen"

Die schottische Lithographie-Künstlerin Jodi Le Bigre zu Gast in der Eichstätter Lithowerkstatt

25.10.2017 | Stand 02.12.2020, 17:18 Uhr
Im Mittelpunkt der Ausstellung der schottischen Künstlerin Jodie Le Bigre steht ihr fantasievolles Kunstwerk "Homo Efflorescens", das sie zusammen mit Kunsthistoriker Gernot Lorenz (links), Gastgeberin Li Portenlänger und dem Dritten Bürgermeister Gerhard Nieberle am Samstagabend präsentierte. −Foto: Kusche

Eichstätt (EK) Bunte Reigen exotischer Früchte, eindrucksvolle Blätterkunstwerke im "Hortus"-Stil, die Spezies der Blütenmenschen und Einblicke in deren ganz eigene Traditionen und Lebensweisen - eine große Vielfalt faszinierender Lithographien sind seit Samstagabend in der Eichstätter Lithowerkstatt von Li Portenlänger zu sehen.

In Anwesenheit von über 50 Besuchern eröffnete Jodi Le Bigre, Gastkünstlerin aus Glasgow und Gewinnerin des Jahrespreises der schottischen Künstlervereinigung Society of Scottish Artists (SAA), ihre großartige Ausstellung.

"Jodi Le Bigre hat uns in ihrer Ausstellung eine geistvolle Hommage der Eichstätter Kulturgeschichte geschenkt", so führte Kunsthistoriker Gernot Lorenz die Gäste in das künstlerische Werk der schottischen Druckgrafikerin ein. Denn mit großer Begeisterung hatte Le Bigre sich für ihre in der Eichstätter Werkstatt gefertigten Druckwerke aus dem "Hortus Eystettensis" von 1613, jenem berühmten und prächtigen botanischen Meisterwerk der barocken Druckgrafik, inspirieren lassen. Wie selbstverständlich habe Le Bigre das Thema "Pflanzen" künstlerisch aufgenommen und dabei ihre große Erfahrung in unglaublich präzisen Zeichnungen, perfekter Schattierung, Lichtführung und Ränderung der Blätter gezeigt, so lobte Lorenz eines der Hauptwerke Le Bigres - die Darstellung dreier Pflanzen und Früchte aus Portenlängers Garten. Bedeutsam sei dabei jedoch nicht nur ihre gelungene Auseinandersetzung mit dem "Hortus", den die junge Schottin vor ihrem Besuch noch nicht kannte. Darüber hinaus zeige Le Bigre mit ihren Werken noch einen anderen Gedanken auf: "Pflanzen, besonders Kulturpflanzen, haben eine Geschichte, die vom Menschen geprägt ist", so Lorenz in Bezugnahme auf die von Le Bigre eindrucksvoll dargestellten Quitten-, Tomaten- und Borretschpflanzen. Pflanzen wurden kultiviert, verändert, angepasst und importiert. Daher gehe es der Künstlerin immer auch um das Verhältnis des Menschen zur Natur, um Annäherung und Aneignung der Naturwelt durch den Menschen, so der Kunsthistoriker.

Auf begeisterte Reaktionen der Gäste stieß insbesondere das im Nebenraum der Werkstatt ausgestellte lithografische Druckwerk "Homo Efflorescens", für das die Künstlerin den Preis eines dreiwöchigen Gastaufenthalts in der Lithowerkstatt Eichstätt erhielt. Ausführlich erläuterte Kunsthistoriker Lorenz die als quasiwissenschaftliche Enzyklopädie anmutende Sammlung faszinierender lithographischer Kunstwerke über das von Le Bigre erdachte "Volk der Blütenmenschen". Die Fiktion, so Lorenz, sei angesichts der minutiösen "Studien" zu diesem vermeintlich exotischen Volk nahezu perfekt. Besonders faszinierend: die Abbildungen prächtiger und fantasievoller Perücken und Haartrachten, für die die "Blumenfrauen" offenbar eine besondere Vorliebe empfanden, sowie die Web- und Flechtarbeiten, die die erdachten "Blütenmenschen" in Le Bigres fantasievollem Kunstwerk aus Haaren zu Textilien und Teppichen verarbeiten. Doch auch vor anatomischen Studien mache die Künstlerin nicht Halt und zeige das Besondere dieser erfundenen Wesen: Blätter und Blüten bedecken nicht nur die Körperoberfläche, sondern scheinen aus dessen Tiefe herauszuwachsen.

Was bewegt eine junge Künstlerin, sich mit einem solchermaßen erfundenen "Naturvolk" auseinanderzusetzen und über lithographische Kunstwerke eine wissenschaftliche Abhandlung darüber zu fingieren? "Jodie Le Bigre bewegt sich auf den Spuren der Händler, Forscher und Reisenden des 18. Jahrhunderts, die auf langen und gefahrvollen Reisen die noch unbekannten Erdteile und exotischen Völker erkundeten", erläuterte Lorenz. Reich illustrierte Reiseberichte zeugten von den Erlebnissen und prägten in Europa das Bild von fremden und exotischen Völkern - vom "edlen Wilden" bis hin zum kulturell unterlegenen "Barbaren". Jodie Le Bigre greife in ihren Lithographien den europäischen kolonialen Blick auf die vermeintlich unzivilisierten Naturvölker auf: "Sie parodiert dieses Thema auf sehr subtile Weise und führt uns dadurch unsere eigene Sichtweise vor Augen - dies aber spielerisch und leicht, ohne Vorwurf und Zeigefinger", betonte Lorenz.

Dritter Bürgermeister Gerhard Nieberle fand in seiner Begrüßung viele lobende Worte für die Gastkünstlerin und stellte ihre Vielseitigkeit in Bezug auf Drucktechnik, Malerei und auch Kunstinstallation heraus. Nieberle dankte Portenlänger für ihre engagierte Arbeit und ihre Bereitschaft, Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt einzuladen: "Diese Aufenthalte in Eichstätt sind immer wieder mit einer sehr intensiven Auseinandersetzung mit der Materie Solnhofener Stein und der Kunst der Lithographie verbunden", so Nieberle. Durch diese Künstleraufenthalte rücke die Kunstform der Lithographie wieder ins öffentliche Bewusstsein.

Die Ausstellung von Jodi Le Bigre in der Pfahlstraße 25 ist noch bis einschließlich 5. November Mittwoch, Donnerstag und Freitag von 16 bis 18 Uhr und Samstag und Sonntag von 11 bis 13 Uhr zu sehen.