Ingolstadt
Diffuses Unbehagen

Ein Autor, zwei Regisseure: Jubel für Pinter-Stücke im Kleinen Haus

29.04.2018 | Stand 23.09.2023, 3:04 Uhr
Innenansicht einer Psyche: Claudio Gatzke und Mira Fajfer als Devlin und Rebecca in "Asche zu Asche" am Stadttheater Ingolstadt. −Foto: Foto: Olah

Ingolstadt (DK) Was ist das für ein Ort.

Grau, gesichtslos, unbestimmt. Viel Nichts. Dazu zwei Lampen, zwei Flachbildschirme, an den Wänden ein Muster aus weißen Linien, das sich auf dem Boden fortsetzt. Ein Ort, an dem Geschichten enden. Ein perfekter Ort für die eigenwilligen Stücke von Harold Pinter. Zwei seiner Einakter aus verschiedenen Schaffensperioden stehen an diesem Freitagabend auf dem Spielplan des Stadttheaters Ingolstadt. Zwei Regisseure entführen das Publikum in das Labyrinth des Pinter-Universums (Ausstattung: Manuela Weilguni), wo dem Schweigen eine unerklärliche Bedrohung innewohnt und dem Witz eine abgründige Perfidie.

"Asche zu Asche" hatte sich Boris Brandner gewählt: Etwas zwischen einem Mann und einer Frau. Ein Gespräch, das wie eine erotische Fantasie beginnt und sich verstrickt in ein Geflecht aus Erinnerung und Schuld. Rebecca erzählt von einem früheren Liebhaber, und während Devlin nachfragt, immer aggressiver, verzweifelter, öffnen sich Türen in eine andere Zeit. Bilder werden evoziert - von Furcht und Gewalt. Und der Faszination an beidem. Ein Führer, ein (KZ-)Lager, Polizeisirenen, Hundegebell, Tod. Am linken Bühnenrand mehrere Paare alter Schuhe. Aus einem Koffer ragen nackte Puppenhände. Ein Buch über den Holocaust wird durchs Bühnenbild getragen. Gegenwart existiert nicht ohne Vergangenheit.

Boris Brandner hat Pinters meisterhafte Parabel über Abhängigkeit und Gewalt aus den 90er-Jahren eindringlich in Szene gesetzt. Mit Mira Fajfer und Claudio Gatzke hat er zwei Schauspieler zur Verfügung, die der Not ihrer Figuren irrlichternd Ausdruck verleihen. Die sich nach Nähe sehnen, aber mit jedem Satz mehr Distanz schaffen, sich mehr und mehr verlieren. Die mit vielen lauten Worten das Unsagbare überdecken. Mit Maik Rogge bringt der Regisseur eine zusätzliche Figur ins Spiel. Einen Störfaktor. Ein Hirngespinst. Ein Alptraum. Ein Echo aus der Normalität in diesem Gedankenraum voller Dämonen. Spannend ist das. Auch wie er den Sprechrhythmus taktet. Pinter-Pausen setzt. Wie er Licht, Ton, Video nutzt, die klaustrophobe Situation zu durchbrechen, hat einen hohen ästhetischen Reiz. Und wenn alle drei gegen Ende David Bowies "Ashes to Ashes" singen, trifft einen diese Verzagtheit bis ins Herz.

Ganz anders Pinters Einakter "Der stumme Diener", der knapp 40 Jahre früher entstand und von zwei Killern erzählt, die in einem schäbigen Motel auf den nächsten Auftrag warten. Wie zwei unterbelichtete Tarantino-Clowns lässt Mona-Julia Sabaschus Ben und Gus ins leere Zimmer taumeln: der eine in Pelzmantel und Cowboystiefel, der andere im weißen Hemd und mit Wickeljackett. Figuren, die schon mit ihren Kleidungsstücken und ihrer eigenen Körperlichkeit zu kämpfen haben. Und erst recht mit dem Raum, den Sabaschus ganz leer lässt. Ziellose Dialoge begleiten die routinierten Abläufe des Duos. Gus zweifelt am eigenen mörderischen Tun, fühlt mit den Opfern, beginnt die Befehle der Obrigkeit in Frage zu stellen. Irgendetwas ist anders als sonst. Als der Speiseaufzug plötzlich Bestellungen aus anderen Etagen ausspuckt ("Zweimal Schmorbraten mit Pommes frittes. Tagessuppe. Leber mit Zwiebel"), gerät der Abend vollends außer Kontrolle.

Kühn halten Sabaschus und ihre Darsteller Maik Rogge und Claudio Gatzke in diesem Gangster-Dramolett die Balance zwischen Komik und Terror, schärfen die Lächerlichkeit des Absurden, lassen stets eine unheildrohende Doppelbödigkeit durchschimmern.

Exzellent sind die Schauspieler: Mira Fajfer, Claudio Gatzke und Maik Rogge spielen hoch konzentriert, bedienen die mysteriösen Maskeraden des Stückes mit Lust, sind präzise und bildstark in Szene gesetzt von Boris Brandner und Mona-Julia Sabschus. Vor allem aber gilt es Harold Pinter (wieder) zu entdecken an diesem Abend, zwei extrem unterschiedliche Stücke voller Ranküne, diffusem Unbehagen, ironischer Abgründigkeit. Großer Applaus.

Weitere Vorstellungen bis 5. Juni im Kleinen Haus. Kartentelefon (0841) 30547200.

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Anja Witzke