Berlin
"Die Stimmung ist schlechter als die Lage"

Bertelsmann-Studie zum sozialen Zusammenhalt in Deutschland ergibt ein gespaltenes Bild Deutliches Ost-West-Gefälle

11.12.2017 | Stand 02.12.2020, 17:05 Uhr

Berlin (DK) Knapp 70 Prozent der Bürgerinnen und Bürger sehen einen starken sozialen Zusammenhalt in ihrem Umfeld. Doch drei Viertel der Bevölkerung sind mit Blick auf das ganze Land skeptisch. Das geht aus der Studie "Radar gesellschaftlicher Zusammenhalt" hervor, für die die Bertelsmann-Stiftung gut 5000 Menschen befragt hat.

Hintergründe zu der Erhebung:

 

Wie ist es um den Zusammenhalt der Gesellschaft bestellt?

Er ist besser als sein Ruf. Die Experten befragten die Teilnehmer, wie sie das soziale Klima bewerten. Demnach schätzten 68 Prozent den sozialen Zusammenhalt in ihrer Umgebung als gut ein, nur knapp sieben Prozent halten ihn für schlecht. Das heißt, das eigene Erleben gibt den Wenigsten Grund zur Sorge. Dennoch wird die Lage im Land deutlich pessimistischer eingeschätzt. Denn drei Viertel gaben an, sie sähen den gesellschaftlichen Zusammenhalt zumindest teilweise als gefährdet an. "Die Stimmung ist schlechter als die Lage", interpretieren die Autoren die Ergebnisse. "Die konkreten Alltagserfahrungen der Menschen sind besser als das, was sie für das gesamte Land vermuten - oder was ihnen öffentliche Debatten dazu spiegeln", sagte Bertelsmann-Experte Stephan Vopel.


Gibt es eine Kluft zwischen Ost und West?

Ja, und die ist sogar erheblich und über die Jahre stabil. Der Zusammenhalt in den ostdeutschen Ländern wird als deutlich schwächer bewertet als im Westen, und der Pessimismus für das ganze Land ist wesentlich größer. Auf einer Skala von 0 bis 100 Punkten landeten alle Bundesländer bei 57 bis 63 Punkten. Die höchsten Werte haben das Saarland und die übrigen Länder im Süden Deutschlands, gefolgt von den alten Ländern im Norden. Dann kommen Nordrhein-Westfalen und Berlin, am Ende liegen die fünf neuen Länder. Schlusslichter sind Brandenburg und Sachsen. Gegenüber 2012 ergeben sich nur geringe Veränderungen. So rutschte Sachsen vom 13. auf den 16. Platz, Mecklenburg-Vorpommern schaffte es vom 15. auf den 12. Platz. Hamburg fiel von Platz eins auf Platz acht, neuer Spitzenreiter ist das Saarland. Auf die Frage, ob der Zusammenhalt gefährdet sei, antworteten 55 Prozent der Befragten in Mecklenburg-Vorpommern mit Ja, in Hamburg waren es nur 27 Prozent, der Durchschnitt lag bei 38 Prozent.

 

Wo liegen die Ursachen für ein schlechtes oder gutes Klima?

"Der gesellschaftliche Zusammenhalt ist dort geringer, wo viele Arbeitslose und arme oder von Armut gefährdete Menschen leben", halten die Forscher fest. Besonders eine hohe Jugendarbeitslosigkeit sowie ein hoher Anteil an Schulabgängern ohne Hauptschulabschluss bedrohen das Zusammengehörigkeitsgefühl, ebenso wie eine überalterte Bevölkerung. Dies kann das Ost-West-Gefälle aus Sicht der Autoren zum großen Teil erklären. Insgesamt wird eine große Gerechtigkeitslücke in Deutschland wahrgenommen. Nur ein sehr kleiner Teil der Befragten ist der Meinung, dass es bei der Verteilung des wirtschaftlichen Reichtums in Deutschland gerecht zugehe. In Brandenburg ist dies nur ein Prozent, in Bremen sind es 15 Prozent. "In Regionen und Bundesländern, die sich als weltoffen erweisen, in denen viele junge Menschen leben und Arbeit finden und die eher in der Lage sind, soziale Ausgrenzung zu verhindern, ist der Zusammenhalt besser", lautet das Studienfazit.

 

Schwächt die Zuwanderung den Zusammenhalt?

Dafür haben die Forscher keine Belege gefunden. "Für den Zusammenhalt spielt es keine Rolle, wie viele Ausländer und Migranten in einer Region oder in einem Bundesland leben", heißt es. Gesellschaftliche Vielfalt werde bundesweit in hohem Maße akzeptiert - auf einer Skala von 0 bis 100 lag der Schnitt bei 79 Punkten. Allerdings zeigt sich auch hier ein Ost-West-Gefälle. In Bremen wurden 85 Punkte erzielt, in Sachsen 69 Punkte.