Die rote Leidenschaft

21.08.2009 | Stand 03.12.2020, 4:43 Uhr

Aus ihnen werden die Pflanzen der Saison 2010: Tomatensamen, die Laura Muschler selbst gewinnt.

Ambach (DK) Der Durchschnittsdeutsche vertilgt im Jahr 22 Kilogramm Tomaten. Dies entspricht genau der Menge, die Laura und Josef Muschler zurzeit an einem Tag aus ihrem üppig bepflanzten Nutzgarten ernten. Tomate – das ist für die beiden ein dehnbarer Begriff. Denn ihre Eigenerzeugnisse dieser Gattung tragen Namen wie Ochsenherz, Kojote, Purpurkalebasse, Weiße Mirabelle, Litschi oder Feuerwerk.

Gesprenkelt und gestreift

Bereits als junges Mädchen erfasste sie die Leidenschaft fürs Garteln, "besonders fasziniert haben mich Tomaten". Ein Hobby, das im Lauf der Jahre zu beträchtlichen Dimensionen heranwuchs. Bald nach der Hochzeit 1964 sprang der Funke auch auf ihren Mann Josef über. Seit der Kraftfahrer, der im Rennertshofener Ortsteil Riedensheim aufwuchs, im Ruhestand ist, lässt er sich von seiner Frau nur zu gerne noch tiefer in die Geheimnisse der Tomatenzucht einweihen. Die füllt inzwischen drei stattliche Gewächshäuser, die bei der Erstbesichtigung Dschungelgefühle wecken. Übermannshoch ranken sich sattgrüne Pflanzen trotz kiloschwerer Fruchtlast an Spiralstäben hinauf und versperren ganz den Blick aufs gläserne Dach. Außer rot in allen Schattierungen sind Laura Muschlers Prachtexemplare auch knallorange, quietschgelb, purpur, braunschwarz, grün, fröhlich gesprenkelt oder gelb-rot gestreift. Allein schon der Säuregehalt sorgt für geschmackliche Unterschiede.

"Jede Sorte ist anders. Am liebsten züchte ich historische Arten, die sind viel schädlingsresistenter als hochgezüchtete Modepflanzen", sagt die 63-Jährige, die stets auf der Suche nach neuen Früchten ist. So wie unlängst im Südtirol-Kurzurlaub: "Da hab’ ich eine Tomate gesehen, die musste ich einfach haben." Natürlich nicht, um sie zu essen, sondern um fein säuberlich ihre Samen auszulösen und sorgfältig zu trocknen, damit diese in der nächsten Tomatensaison zum Einsatz kommen können. Und die beginnt im Hause Muschler Anfang Februar mit dem Einsetzen der winzigen Samenkörner. Bis März werden die Töpfchen aus Wärmegründen im Wohnzimmer gelagert. Die ersten der gesunden und kalorienarmen Vitamin-A-Lieferanten sind Anfang Mai erntereif, die letzten im Oktober.

Verwöhnt werden die Pflänzchen mit Mist aus Riedensheim, Hornspänen und Biodünger, aufgepäppelt werden sie in komposthaltiger Erde, die Josef Muschler selbst mischt. Gegen die großen Feinde der Tomate, die Weiße Fliege und die Braunfäule, würden Klebestreifen und ein biologisches Spritzmittel helfen. "Und der Rest bleibt mein Geheimnis", schmunzelt die Tomatenkennerin, die sich fortgebildet hat auf allerlei Messen und durch Fachliteratur, aber dennoch an so eine Art Gärtner-Gen glaubt, das manche Menschen haben und andere nicht. Denn schief gegangen sei noch nie etwas bei ihren doch mitunter sehr anspruchsvollen Züchtungen. "Wenn Du etwas in die Erde drückst, dann wird auch was draus", habe ihr erst neulich die Schwiegertochter ein Kompliment für ihre Gemüsetrophäen aus dem Hausgarten gemacht, in dem natürlich auch noch Platz für andere Kulturen wie Kopfsalat oder Paprika, Kräuter, ein Meer von Blumen und den stattlichen Gartenzwerg Roberto bleibt.

Pralle Wintervorräte

Abnehmer finden sich für die Tomaten viele. Trotzdem bleibt den Muschlers im ertragreichen August weit mehr als eine haushaltsübliche Ration übrig. "Wir lieben Tomaten", versichern die beiden unisono in ihrem lauschigen Freisitz. Es gibt sie als Salat, mit Mozzarella und als Beilage zu jeder Brotzeit. Im Kühlschrank aber würde keine einzige gelagert, "denn das schadet diesem Gemüse". Laura Muschler legt Vorräte für einen langen Winter an. Nur die ganz reifen Exemplare würden geschält und eingekocht, deren Essenz in Schraubgläsern konserviert. "Denn im Winter kaufe ich keine Tomaten im Supermarkt." Und was im Keller lagert, reiche locker bis zum nächsten Frühjahr, wenn ihr Garten sie wieder voll fordert. Schon früh um sechs beginnt der 71-Jährige zurzeit mit dem Gießen. "Wir fangen jeden Regentropfen auf, 6000 Liter passen in unsere Tonnen. Gemüse liebe abgestandenes Wasser.

Ein Leben ohne ihren Garten könnten sich die Muschlers nicht vorstellen. Und wenn man Laura und Josef einträchtig arbeitend mit Schere und Harke im Gewächshaus sieht, so hält man es durchaus für möglich, dass der Paradeiser – so bezeichnet der Österreicher die Tomate – sehr eng verwandt ist mit dem Paradies.