Die perfekte Illusionsmaschine

25.07.2008 | Stand 03.12.2020, 5:44 Uhr

München (DK) Das Münchner Prinzregententheater muss statisch überprüft werden: Jubelorkane und frenetisches Getrampel könnten Fundamente und Gewölbe ruiniert haben. Münchens Opernfans gerieten bei Richard Strauss’ "Ariadne auf Naxos" fast außer sich: ein Festspielabend ohne jedes Buh. Konservative Strauss-Liebhaber konnten einfach schwelgen.

Es gab vokale Opulenz und Brillanz vom Allerfeinsten: Koloratur-Sopranistin – nein: -Artistin Diana Damrau faszinierte mit einem perfekten Hochseilakt als Zerbinetta – und sie konnte ein schwarzes Madonna-Mieder und grellrote Lack-Pumps tragen, vorführen und herausfordernd einsetzen. Doch nicht nur sie: Auch die Namenskette der Solisten – Adriana Pieczonka (eine sehr heutige Operndiva mit viel Tiefgang für Ariadne), Daniela Sindram (ein jugendlich schlanker Komponist, immer am Abgrund, aber emphatisch glühend), Burkhard Fritz (ein eitler Tenor, der in der hohen Bacchus-Lage nicht starb, sondern strahlte) und Martin Gantner (ein herrlich bodenständiger Musiklehrer) – steht für ein Star-Ensemble. Ausnahmslos bis in die Nebenrollen haben sie "Festspiel-Format" in Spiel und Stimme – so auch der wunderbar ölig-arrogant artikulierende Haushofmeister von Johannes Klama. Sie alle führte GMD Kent Nagano mit allem Wissen aus rund 20 Jahren Partiturkenntis: mal feinsinnig, mal lakonisch trocken, mal kantig heftig, am Ende im Liebes-Singrausch von Ariadne und Bacchus hochemotional. Die Münchner Opernfestspiele haben mit dieser "Ariadne"-Neuproduktion ihren musikdramatischen Höhepunkt.

Doch die Krone muss Regisseur Robert Carsen und seinem ganzen Bühnenteam gereicht werden: Seine "Ariadne" spielt hier und heute im "Prinze" – mit uns als Gästen eines neureichen, eitlen Gastgebers, der uns mit einer plötzlich anbefohlenen Kombination aus Sprechtext und Gesang, aus Komödie und Tragödie, aus albernem Show-Gig und großer Opern-Romantik mit antikem Touch unterhalten will. Wir nehmen Platz und die bestechend eingefügte Tanztruppe ist noch beim Aufwärmtraining an den Stangen eines rundum verspiegelten Probesaals.

Doch auch diese Realität ist nur Schein: Als die Kombination aller Gattungen eiskalt anbefohlen wird, löst sich dieser Raum in drehbare Einzelspiegel auf, hölzerne Rückseiten, ein altes Klavier und die leere schwarze Bühne werden vom kalkuliert tobenden Chaos höchst amüsant gefüllt.

Dann muss die Festaufführung losgehen, also fährt der Vorhang zu. Der verzweifelte Komponist hält seine Partitur umklammert, reicht sie zögernd Kent Nagano in den Orchestergraben und setzt sich ängstlich an den Grabenrand. Abermals im leeren schwarzen Raum kommt es zur keck umspielten Liebesbegegnung Ariadne-Bacchus – und Carsen wagt und gewinnt. Vor einer gleißend hellen Lichtwand singen die beiden nur noch als schwarze Konturen, zwei entindividualisierte Liebende von exemplarischer Größe wie Tristan und Isolde.

Nach dem letzten Ton öffnet der Komponist unsicher den Vorhang – und da liegt nur der leere Bühnenraum. Alles war nur Imagination? Theater als perfekte Illusionsmaschine? Verloren steht der Künstler-Komponist da. Erfolg? Flop? Stille. Und dann rennen von allen Seiten die Bühnenarbeiter, die Komödianten, die Tänzer und Sänger auf ihn los, jubelnd klatschend, begeistert ihn umarmend: Oper hat als das wahre "Kraftwerk der Gefühle" triumphiert – und nun brechen auch Beifall und Jubel im Publikum los.