stadtgeflüster
Die neuen Leiden der Langen Inga

29.04.2021 | Stand 02.05.2021, 3:33 Uhr
  −Foto: Hammer, Cornelia, Ingolstadt

Eine Neigung zur Korpulenz hatte sie ja noch nie, und doch kommt es uns in letzter Zeit so vor, als sei sie sehr schmal im Gesicht geworden, gezeichnet von nur zu verständlichen Sorgen.

Sollte diese ganz im Stillen wirkende Schutzgöttin der Ingolstädter Einkaufswelt etwa ihre Strahlkraft eingebüßt haben? Zermürbt von der zwölften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung? Von Click and Meet, Click and Collect, von Maximalkundenzahl pro Quadratmeter Verkaufsfläche, von Terminbuchung und Inzidenzschwellenwerten? Man wüsste gar zu gern, was in der Langen Inga vorgeht. Wer ihr noch nie begegnet ist - die schlanke Gestalt der Langen Inga ragt seit 2005 zwischen Schillerstraße und Donau City Center acht Meter in die Höhe (Foto: Hammer). Sie ist übrigens weder verwandt noch verschwägert mit dem bekannten DK-Sprücheklopfer Ingo, der jeden Tag auf den hinteren Lokalseiten ablästert.
Inga, die Dame im violetten Kleid aus Glasfaserstoff, beglaubigt als Kunstfigur den Wandel vom alten städtischen Schlachthof zum Einkaufszentrum. Die Tatsache, dass dieses rot angestrichene Einkaufs- und Büroensemble mit seinem markanten Müllabfuhrdekor auf der Donauseite so entstehen konnte, wie es entstand, ließ damals manchen Kritiker an der Existenzberechtigung eines städtischen Gestaltungsbeirates zweifeln. Doch die Lange Inga stand von Anfang an über den Niederungen des politischen Gezerres. Sie verweist vielmehr auf die philosophische Tiefendimension des Kaufens, denn der Akt des Kaufens (besser: des Shoppens) ist ja weit mehr als nur der simple Tausch von Ware gegen Geld.
Zweifellos erschließt sich einer weiblichen Figur wie Inga die Magie des Einkaufserlebnisses viel unmittelbarer als einem Mann. Etlichen Männern bemächtigt sich schon beim Betreten einer Shopping-Mall eine sonderbare Form von nörgeliger Gefühlskälte. Einkaufen, das ist für sie der möglichst schnell und reibungslos abzuwickelnde, leider unvermeidliche Erwerb von Gebrauchsgegenständen oder Anziehsachen. Im Rahmen der Genderdebatte wäre daher zu klären, weshalb Frauen beim Shoppen mitunter in rauschartige Zustände geraten, etwa beim Anblick hochwertiger Handtaschen und Schuhe. Die Miene der Langen Inga verheißt aber momentan eher noch eine ausgedehnte Katerstimmung.

rh