Schrobenhausen
Die nächste Generation

30.01.2015 | Stand 02.12.2020, 21:42 Uhr

Über 500 Mitarbeiter beschäftigt die Georg Leinfelder Leipa GmbH zurzeit an ihrem Standort in Schrobenhausen. Auch die Hauptverwaltung der Gruppe ist hier angesiedelt - Foto: Haßfurter

Schrobenhausen (SZ) Als er 29 war, trat er in die Geschäftsführung der Leipa-Gruppe ein: Robin Huesmann. Viereinhalb Jahre ist das mittlerweile her. Er ist der Neffe des Mannes, der in den vergangenen gut 50 Jahren aus Leinfelder ein international aufgestelltes Unternehmen gemacht hat, Hubert Schrödinger. Von Tag zu Tag, von Woche zu Woche wächst Huesmann immer weiter, immer tiefer in das Unternehmen hinein.

Ein Treffen in der Leinfelder-Villa, im Besprechungszimmer mit Blick zur Aichacher Straße. Ein Gebäude aus einer anderen Zeit. 1903, als es vom damaligen Stararchitekten Gabriel von Seidl, einem Zeitgenossen Lenbachs, gebaut wurde, muss es noch größer, noch prächtiger gewirkt haben als heute. Der Glanz von damals, der Atem der langen, bedeutungsschweren Schrobenhausener Industriegeschichte, er ist noch da, auch wenn große Teile des einstigen Wohnhauses längst zu einem zweckmäßigen Bürogebäude umfunktioniert worden sind. Als Seidl einst die Baupläne zeichnete, war die Papierfabrik schon mehr als ein halbes Jahrhundert in Betrieb.

Die Fabrik. Leinfelder. Für Robin Huesmann ist das Teil seines Lebens, seit er das Licht der Welt erblickte. Heute ist er 33, einer der drei Geschäftsführer und damit verantwortlich für 1500 Mitarbeiter in einem Unternehmen, das mehr als eine dreiviertel Milliarde Euro pro Jahr umsetzt, gut 125 Millionen allein in Schrobenhausen. Und obwohl der mengenmäßig größte Anteil der Produktion im Nordosten der Republik, in Schwedt, passiert, ist die Geburtsstätte des Unternehmens bis heute fester Bestandteil der Gruppe. In Schrobenhausen befindet sich nach wie vor die Zentralverwaltung.“

Entsprechend kommt die Unternehmensspitze immer wieder hier zusammen, auch an diesem Tag des Interviews. Nebenan setzen Huesmanns Geschäftsführerkollegen Peter Probst und Markus Rudersdorf eine Besprechung fort, die vor Stunden begann. Im nächsten Raum findet eben eine Expertenrunde statt, fünf Männer in Businessanzügen diskutieren Zahlen und Daten zwischen Beamer und Flipchart.

Zweimal pro Monat treffen sich die drei Leipa-Geschäftsführer, irgendwo, in irgendeinem Land, an einem der Standorte. „Alles, was gerade ansteht, wird dann von vorne nach hinten und von hinten nach vorne besprochen“, sagt Huesmann und lächelt. Ansonsten sind er und seine Kollegen ständig unterwegs. Wenn er nicht gerade im Flugzeug von Meeting zu Meeting pendelt, sitzt Huesmann im Auto. „Naja, vergangenes Jahr waren es fast 80 000 Kilometer.“ Sein Alltag.

„Wenn man in eine Struktur hineinwachsen will, die über Jahrzehnte entstanden ist, dann muss man unterwegs sein“, sagt Huesmann. Und es ist offenbar komplex, was in der Ägide von Hubert Schrödinger aufgebaut wurde. Er war der Wegbereiter auf der Reise dorthin, wo Leipa heute ist. Schrödinger, der Grandseigneur, einer, für den das Wort „konventionell“ nicht existiert. Mit 60 Jahren, in einem Alter, wo andere daran denken, es endlich etwas ruhiger angehen zu lassen, kaufte er kurz nach dem Mauerfall die Schwedter Papier und Karton GmbH, weil er die Idee hatte, gestrichenes Recyclingpapier herzustellen. Und noch heute, mit über 80 pendelt er regelmäßig von seinem Wohnsitz in Berlin ins eine Autostunde entfernte Werk.

Auch Robin Huesmann hat eine Wohnung in Berlin. Dass dort sein Lebensmittelpunkt wäre, möchte er nicht behaupten, dafür ist er zu viel unterwegs. Im Schnitt zweimal pro Woche kommt er nach Schrobenhausen. Auch, weil hier seine Mutter lebt, und der Bruder mit seiner Familie. Wie an allen Standorten, an denen Huesmann auftaucht, geht es immer wieder um dieses eine Thema: das Unternehmen voranzubringen.

Das ist nicht einfach. „Mit unserer Kartonmaschine bewegen wir uns in einem saturierten Markt“, sagt Huesmann. Das heißt: stabile Umsätze, aber wenig Chancen auf Wachstum. Dabei hat sich das Unternehmen clever aufgestellt, kaum zu glauben, wo überall Leinfelder drin ist. „Rund 70 Kilogramm Karton pro S-Klasse“, erzählt Huesmann, hauptsächlich zu Transportzwecken eingesetzt. In Sofarückwänden, Schraubenschachteln, bedruckte Verpackungen in den Supermärkten und und und.

Wo die Reise für Schrobenhausen hingeht? „Schwedt bietet andere Möglichkeiten, nachdem in Schrobenhausen die Stadt immer näher ans Werk herangerückt ist“, sagt Huesmann. „Wir wollen Schrobenhausen so weiterentwickeln, wie es entwickelbar ist. Ich bezweifle, dass wir hier die Möglichkeit bekommen würden, eine weitere neue Papiermaschine zu bauen.“ Aber die Gegebenheiten seien durchaus da, um nach vorne zu schauen. Und diese Gegebenheiten wollen auch genutzt werden.

„Wir haben hier ein Kraftwerk, eine Produktionswasseraufbereitung, den geschlossenen Wasserkreislauf – so etwas woanders neu aufzubauen wäre wirtschaftlich nicht sinnvoll“, sagt Huesmann. Also wird investiert. Über 15 Millionen Euro wurden 2013 in den Tandemextruder gesteckt. In Schwedt sind die Dimensionen allerdings andere, die Papiermaschine, die vor elf Jahren in Betrieb genommen wurde, kostete über 350 Millionen.

Die Nische, die das Unternehmen für Schrobenhausen entdeckt hat, heißt Spezialverpackungen. „Die Menschen werden älter, es gibt mehr Singles“, erklärt Huesmann den gedanklichen Überbau, „das heißt: Wir brauchen mehr kleinere Verpackungsgrößen.“ Und: Die Menschen legen wieder mehr Wert darauf, wie sie sich ernähren. Also geht es auch darum, „Umverpackungen herzustellen, die eine möglichst lange Haltbarkeit für biologische Produkte ohne Konservierungsstoffe gewährleisten“. Deshalb wird stetig an der Barrierewirkung geforscht und getüftelt, „damit nichts, was den Alterungsprozess beschleunigen könnte, an die verpackte Nahrung gelangen könnte“, sagt Huesmann. Und nicht nur das: Man soll die Verpackungen natürlich auch noch vernünftig öffnen können. Wie war das? Sie müssen erst den Nippel durch die Lasche ziehen . . .

Huesmann ist an allen Standorten in die überall laufenden, unterschiedlichen Prozesse eingebunden. „Wir haben den Vorteil, dass wir überall sehr qualifizierte Mitarbeiter haben, die Entscheidungen vor Ort treffen können, egal ob wir nach Schrobenhausen gucken oder nach Schwedt oder zu den anderen Standorten“, sagt er. „Aber es gibt lokale Gegebenheiten, die muss man kennen. Und man muss entscheiden, ob man sich darauf einlässt – oder manchmal auch nicht.“ Die sind in Litauen anders als in Schrobenhausen. „Es ist wichtig, dass man die Leute vor Ort unterstützt“, sagt Huesmann. „Man muss schauen, dass das Unternehmen trotz der unterschiedlichen Gegebenheiten nicht zu weit auseinanderdriftet, dass es vergleichbar bleibt.“ Und es geht darum, die Firmenkultur in die verschiedenen Standorte zu tragen, sie zu erhalten oder auch an die Zeit anzupassen.

Im Besprechungszimmer in der Leinfelder-Villa zieren Luftbilder der Standorte die Wände. Die beeindruckenden Dimensionen des Werks in Schwedt werden auf den Fotos greifbar. Über eine halbe Million Tonne leichtgewichtiges gestrichenes Papier wird hier Jahr für Jahr produziert – und clever vermarktet. „Wir stehen für ökologisches Papier“, sagt Huesmann, „und ich traue mich zu behaupten, dass unsere Qualität, wie wir sie mit unserer PM4 in Schwedt liefern, im Moment kein anderer herstellen kann. Wir haben eines der schönsten Magazinpapiere, die es in Deutschland gibt.“ Eingesetzt wird es beispielsweise bei der Lufthansa oder auch bei der Bahn; bei den Bordmagazinen steht Leipa im Impressum.

Das Zukunftsthema ist allerdings dasselbe wie beim Karton: „Allgemein geht der Papierverbrauch im grafischen Bereich zurück, durch die neuen Medien“, sagt Huesmann. „Unsere Kunden überlegen sich also Geschäftsmodelle, wie sie damit in Zukunft umgehen, etwa durch Inhalte, die andere nicht haben.“ Überall wird nach vorne gedacht.

Leipa ist für Huesmann im Mittelpunkt seines Denkens, darüber hinaus ist er auch Geschäftsführer zweier weiterer Firmen. Die Münchner Akten- und Datenvernichtung (MAD) beschafft etwa 30 Prozent des Altpapiers für die Produktion, bereitet es auf, hat aber auch noch weitere, kleinere Geschäftsfelder.

Ebenfalls zur Gruppe gehört die Leipa Logistik, die eigene, fertige Produkte abtransportiert, aber auch Spedition für externe Kunden ist. „Im Schnitt bewegt unsere Logistik an allen Standorten 1,2 Millionen Tonnen Waren pro Jahr“, sagt Huesmann.

Gerade fährt ein schwerer Lkw an der Leinfelder-Villa vorbei, das Gebäude zittert unter der Last, die von der Straße bis hierher übertragen wird. Ein vertrautes Gefühl für Robin Huesmann. Früher, erzählt er, da hatte er sein Kinderzimmer in der Villa, oben im zweiten Stock, direkt an der Straße. „Das war immer schon so.“ Die Villa hat viel auszuhalten und überstanden. So, wie auch das Unternehmen. Und es geht immer weiter. Robin Huesmanns Blick verharrt kurz draußen auf der Straße. Dann ist das Interview zu Ende. Die nächste Besprechung wartet. Und dann die nächste Reise. Der Alltag eines Unternehmers.

 

Demnächst erscheint ein Interview mit Robin Huesmann.