Ingolstadt
Die Macht des schönen Klanges

Eine lehrreiche Begegnung: Geigenschüler der Ingolstädter Montessori-Schule und das berühmte Kodály-Quartett treten zusammen auf

01.02.2017 | Stand 02.12.2020, 18:43 Uhr

Musikalische Lehrstunde: Musiker des Kodaly-Quartetts geben Nachwuchskünstlern der Suzuki-Musikschule ein paar Tipps. - Foto: Weinretter

Ingolstadt (DK) Was für ein Klang! Er flutet über die Sitzreihen gewaltig durch die kleine Aula der Ingolstädter Montessori-Schule, dringt nach oben über die Treppen, bricht sich an den Glasfenstern - und bringt das Publikum zum Staunen. Denn es sind nur wenige Geiger, die da inmitten des Raumes stehen und kraftvoll über die Saiten streichen - erst fünf, später neun und dann noch ein paar Musiker mehr. Vielleicht spielen sie auch so vehement, weil vier außergewöhnliche Gäste unter den Zuhörern sitzen, sich neugierig umblicken, Fotos und Videos mit ihren Smartphones aufnehmen: die Mitglieder des berühmten Kodály-Quartetts, das an diesem Dienstagabend im Spiegelsaal des Kolpinghauses ein Konzert gibt.

Hinterher spricht einer der ungarischen Virtuosen, fast verwundert von einem "ganz ungewöhnlichen Erlebnis". In der Tat: Hier prallen Musikkulturen aufeinander. Denn die jungen Musiker lernen das Geigenspiel nach der Suzuki-Methode - eine pädagogische Richtung, die den vier berühmten Streichern kaum bekannt ist.

"Die Grundlage ist das Unisono-Spiel", erzählt Veronika Kimiti, die den Suzuki-Musikkreis in Ingolstadt aufgebaut und bis vor Kurzem geleitet hat. Das Spielen nach Noten, das mehrstimmige Musizieren gehört natürlich auch zum pädagogischen Konzept, ist allerdings nachrangig. Tatsächlich ist die Wirkung dieser einfachen Lieder, des Vivaldi-Konzerts und der anderen Stücke, die (fast alle) einstimmig (mit Klavierbegleitung) und auswendig vorgetragen werden so überwältigend, weil die Schüler alle am gleichen Strang ziehen, weil sie so ungeheuer sauber und einheitlich spielen können. Obwohl viele von ihnen noch im Grundschulalter sind.

Man spürt sofort, dass hier eine Tradition gepflegt wird. Dass hier ein bestimmter Stil kultiviert wurde, eine Methode der Persönlichkeitsbildung durch Musik. Seit 25 Jahren arbeitet die Montessori-Schule mit dem Suzuki-Kreis zusammen. Nun haben die derzeitige Leiterin der Musikschule, Andrea Agotha-Vajer, und Veronika Kimiti die Gelegenheit ergriffen, ihre Schüler mit dem berühmten Kodály-Quartett bekannt zu machen, das vom Pädagogischen Zentrum und vom Diözesanbildungswerk des Bistums Eichstätt nach Ingolstadt eingeladen wurde. Natürlich war diese Initiative für beide irgendwie naheliegend - schließlich sind auch sie gebürtige Ungarn.

Für die kurze Begegnung haben die beiden Suzuki-Pädagogen im Anschluss an das allgemeine Vorspiel ein Geigen-Quartett ausgewählt, alles Schüler, die bereits seit über zehn Jahren Suzuki-Unterricht haben. Die Montessori-Schule, die ja nur bis zum 10. Schuljahr geht, haben sie längst verlassen, inzwischen stehen sie kurz vor dem Abitur. Sie sollen die Chance haben, mit den berühmten Musikern eine Stunde lang zu arbeiten.

Aber der Workshop steht für Veronika Kimiti gar nicht im Vordergrund, wie sie vorher betont - sondern die Zeit vor dem Ereignis. "Natürlich bereitet man sich anders vor, wenn man nicht nur für ein Musik liebendes Publikum spielt, sondern vor so hochkarätigen Streichern", sagt sie. "Das hat ein ganz anderes Gewicht, wenn die etwas anmerken - selbst wenn es das gleiche ist, was ich immer sage."

Bei einer eher verhaltenen Annäherung der verschiedenen musikalischen Welten sollte es an diesem Tag auch bleiben. Die talentierten Geigenschüler spielen die recht kniffligen Variationen auf das Lied "Ah! Vous dirai-je" von Charles Dancla. Die vier Ungarn hören sich das an, loben die intensive Kommunikation zwischen den Geigern, wünschen sich etwas mehr Dynamik, Abstufungen zwischen eher solistischen Partien und Begleitfiguren. Sie ermuntern die Musiker, im Stehen zu musizieren. Und dann laden sie die schüchternen Nachwuchskünstler - Benedikt Billig, Lotte Dietz, Peter Miller und Franziska Woltz - noch ein, ihr Stück, quasi als Vorband, am Anfang ihres Abendkonzerts vorzutragen. Das ist schon alles. Und doch sehr viel.

Denn die jungen Leute im Spiegelsaal zu hören im Zusammenhang mit den Quartett-Stars ist ein lehrreiches Erlebnis - weil es so große Unterschiede zu hören gibt und doch auch Gemeinsamkeiten. Die Suzuki-Geiger musizieren auch diesmal fast auswendig, mit strahlendem Ton, ungebremst, jugendlich. Immer noch werden die solistischen Passagen ein wenig von den Begleitfiguren erdrückt. Aber der Elan, der grandiose Klang begeistert. Und das Publikum jubelt, als wären sie Popmusiker. Da haben es die Profis danach fast schon schwer. Auch wenn ihre Kunst natürlich ungleich perfekter, verfeinerter, klangschöner, dynamischer - und auch meist etwas leiser ist. Das Kodály-Quartett gehört eben zu den wenigen Weltklasse-Ensembles. Gemeinsam mit den Nachwuchskünstlern ist ihnen der Sinn für Klang. Auch wenn er bei den Ungarn ganz anders zum Ausdruck kommt.

Die Kodály-Musiker sind im besten Sinne noch Musiker alter Schule. Der ruppige Mozart-Stil der Originalklang-Bewegung ist ihnen eher fremd. Das Mozart-Quartett KV 589 schnurrt in ihren Händen elegant dahin: eine Fülle des Wohllauts. Selbst das ungestüme vierte Streichquartett von Béla Bartók klingt bei ihnen eher luftig-leicht, sogar samtig als übertrieben schroff. Kein Ton überschreitet die Grenzen des Schönklangs. Die Pizzicatos im dritten Satz sind ein Vergnügen. Richtig ins Zeug legen die Ungarn sich erst im Schlusssatz, und da ist besonders der volkstümliche Sinn für die scharfen Rhythmen bewunderungswürdig.

Auch bei Beethovens gewaltigem Streichquartett in cis-Moll op. 131 hätte man sich manchmal einen leidenschaftlicheren Zugriff gewünscht. Dafür ist das Sostenuto-Spiel kaum mehr zu übertreffen. Das kurze "Adagio quasi poco andante" ist butterweich und dabei doch spannungsgeladen - eine überragende Deutung. Die Fuge am Anfang dagegen enttäuscht ein wenig: auch hier ein grandioses Sostenuto, aber in einer Fuge voller gleichberechtigter Stimmen sollte die erste Violine nicht so indezent herausragen. Voller berstender Energie dann das Schluss-Allegro. Ein Klangrausch, fast ein wenig wie bei den Nachwuchsgeigern - nur unendlich geformter, fokussierter, drastischer. Davon kann man lernen. So ist das grandiose Konzerterlebnis ein bisschen auch eine hinreißende Musikstunde.