Ingolstadt
Die Liebschaften eines Angeklagten

Schwurgericht befasst sich mit den wechselhaften Beziehungen des mutmaßlichen Giftmischers

19.02.2018 | Stand 02.12.2020, 16:47 Uhr

Immer farbenfroh: Noch an jedem der bisherigen Prozesstage ist der angeklagte Landwirt - hier wird er am ersten Verhandlungstag in den Zellentrakt des Landgerichts geführt - in rotem Anorak und rotem Hemd aufgelaufen. Bei einigen Anlässen hatte er früher offenbar recht schrille Auftritte. Gestrigen Zeugenaussagen zufolge soll er auch mal in Damenkleidung zum Tanzen gegangen sein. - Foto: Schmatloch

Ingolstadt (DK) Der mutmaßliche Giftmischer von Wettstetten und seine häufig wechselnden Freundinnen: Recht intensiv hat das Schwurgericht im sogenannten Rattengift-Prozess gestern das Privatleben des 53-jährigen Angeklagten beleuchtet - mit durchaus denkwürdigen Ergebnissen.

Bislang waren im Landgerichtsverfahren um den mutmaßlichen dreifachen Mordversuch von Wettstetten zwei ehemalige Lebensgefährtinnen des beschuldigten Landwirts gehört worden. Einer davon soll er - ebenso wie später seinen Eltern - im Frühjahr 2015 mit Rattengift nach dem Leben getrachtet haben. Gestern nun hörte die Strafkammer zwei weitere Frauen an, mit denen der Mann einmal im Sommer 2014 nur wenige Wochen bzw. zwischen Frühsommer und Jahresende 2015 in Partnerschaften gelebt hat. Beide Beziehungen endeten nach Schilderung der Zeuginnen abrupt.

2014 hatte sich der Angeklagte von seiner vormaligen Ehefrau, mit der er vier Kinder hat, getrennt. Er lebte daraufhin zunächst wohl kurz im Haus der Eltern, bald darauf dann im Nachbargebäude des Hofes, das ihm eine Großtante überlassen hatte (und das er im Jahr zuvor wohl in einem Akt von Verzweiflung in Brand gesetzt hatte, DK berichtete). In dem mittlerweile renovierten Haus heimisch geworden, ging der Landwirt offenbar zügig daran, über Partnerschaftsanzeigen in Zeitungen und entsprechende Internetportale Frauenbekanntschaften zu suchen.

Nach allem, was bislang im Prozess aufschien, kam es auf diesen Wegen innerhalb von rund zweieinhalb Jahren zu vier engeren Beziehungen mit Frauen im mittleren Alter. Stets zogen die Damen recht schnell beim jetzigen Angeklagten ein, doch kam es offenbar dreimal ebenso schnell zum Bruch. Den Eltern sollen diese "Weibergeschichten" recht zuwider gewesen sein. Sie mieden den Aussagen zufolge jeglichen Kontakt zu den Freundinnen des Sohnes, sollen nicht einmal zurückgegrüßt haben.

Jener Frau, die in der zweiten Jahreshälfte 2015 mit dem Landwirt zusammen war, soll er sogar die Ehe versprochen, soll sich von ihr, die zu dieser Zeit immerhin schon 52 Jahre alt war, auch noch ein Kind gewünscht haben. Er richtete der Frau in Wettstetten auch einen kleinen Werkstattladen ein, wobei ihm das Beste gerade gut genug gewesen sein soll. Stets sei er spendabel gewesen, habe "mit dem Geld rumgeschmissen", während seine Eltern ihn immer wieder zum Maßhalten und zur Arbeit aufgefordert hätten. Es sei schon seltsam gewesen, so der Eindruck der Zeugin, wie sich ein Mann von seinerzeit immerhin schon 50 Jahren immer noch von seiner Mutter habe zurechtweisen lassen müssen.

Im persönlichen Umgang sei ihr Ex-Partner meistens ruhig, im öffentlichen Auftreten mitunter aber schrill gewesen: Die Frau sprach von einem gemeinsamen Besuch mit ihrem Ex-Partner in einem bürgerlichen Tanzlokal, bei dem er in Damenleggins, mit Lackschuhen und Damenhalskette aufgelaufen sei.

Die Beziehung hatte dann Ende 2015 wohl an Fahrt verloren. Als die Frau ein oder zwei Tage vor Silvester abends vom Besuch bei einer Freundin zurückkam, so ihre Schilderung, sei sie einfach nicht mehr eingelassen worden. Daraufhin sei sie mit ihrem minderjährigen Sohn für einige Wochen in ihre benachbarte Werkstatt gezogen, habe dann im Januar 2016 nur mal kurz zum Duschen ins Haupthaus gehen wollen und sei dort von dem Landwirt tätlich angegriffen worden. Es habe einen Polizeieinsatz gegeben, und sie sei anschließend ins Frauenhaus gezogen.

Auch die andere gestern gehörte Frau (jetzt 43) hatte im Sommer 2014 ein unverhofft jähes Ende ihrer Beziehung mit dem Landwirt erlebt: Nachdem er zuvor eine andere vormalige Partnerin ins Gespräch gebracht hatte, so die Aussage, sei das Verhältnis urplötzlich völlig abgekühlt. Ihr sei praktisch von einem Tag auf den anderen der Stuhl vor die Tür gesetzt worden, berichtete die Zeugin.

Gegenüber der Freundin vom Sommer und Herbst 2015 soll der Landwirt auch wiederholt von einem großen Bauvorhaben auf dem Grund des elterlichen Hofs geschwärmt haben. Er habe von Seniorenwohnungen gesprochen, aber auch von einem Fitnessstudio, von einem Café oder Bistro - immer für den Fall, dass die Eltern einmal nicht mehr leben sollten.

Auf Anordnung des Gerichts ist die Kripo inzwischen Informationen des DK nachgegangen, wonach der Angeklagte auch für das zuletzt von ihm bewohnte Anwesen große Pläne hatte. Tatsächlich, so die Recherchen bei der Gemeinde Wettstetten und beim Landratsamt, hatte der Mann im September 2013 eine Bauvoranfrage für ein Gästehaus mit 23 Betten und Tiefgarage gestellt. Das Projekt wäre genehmigungsfähig gewesen, wurde dann aber nicht verwirklicht.

Das Schwurgericht hat sich gestern auch mit den finanziellen Verhältnissen des Angeklagten beschäftigt. Den Ermittlungen der Polizei zufolge hat der 53-Jährige derzeit noch (nicht abgesicherte) Verbindlichkeiten von rund 150 000 Euro, allerdings auch noch Immobilienbesitz, dessen Wert diese Schuldensumme mit Sicherheit deutlich übersteigen dürfte. Über die vergangenen Jahre hat der Mann der Polizei zufolge erhebliche Summen auf seinen Konten bewegt. Unter anderem hatte er 2014 für 450 000 Euro ein Baugrundstück verkauft, später aber auch wiederholt große Beträge abgehoben. Zuletzt sollen die monatlichen Einnahmen deutlich hinter seinen Ausgaben zurückgeblieben sein.

Zur Sprache kam gestern auch die Datenauswertung der Polizei, was den sichergestellten Heimcomputer des Angeklagten betrifft. Auf dessen Festplatte wurden sage und schreibe 15 256 Einträge des Stichworts "Brodifacoum" gefunden, was für eine ganz erhebliche Internetrecherche zu dieser in einigen Rattengiften verwendeten Chemikalie spricht. Genau dieser Wirkstoff war auch im Blut der vergifteten Eltern des Mannes nachgewiesen worden. - Der Prozess wird am Donnerstag fortgesetzt.